Magische Insel
trank ich den warmen Most, der mir nicht mehr die Zunge verbrannte, allerdings etwas zu sehr mit Nelken gewürzt war. Die Wärme und die Flüssigkeit linderten die Kopfschmerzen, die ich bisher noch gar nicht bemerkt hatte.
»Weißt du, junger Freund, es wäre hilfreich, wenn ich deinen Namen wüsste – oder zumindest wie du gern angesprochen würdest.« Justen biss herzhaft in ein Brötchen.
»Entschuldigung … ich heiße Lerris«, sagte ich mit vollem Mund. Obwohl Kleiebrötchen nicht zu meinen Lieblingsspeisen gehörten, nahm mein Magen sie dankbar an. »Und Ihr seid Justen, nicht wahr?«
Er nickte. »Auch allgemein bekannt unter dem Namen der Graue Magier, der verdammte Narr und anderen weniger schmeichelhaften Bezeichnungen.« Er nahm einen weiteren tiefen Schluck. »Der Apfel ist für dich.«
Ich widersprach nicht und verzehrte den Apfel bis aufs Kerngehäuse.
»Antonin ist gebeten worden, dem neuen Herzog von Freistadt zu helfen …«
»Oh … das hat er Euch erzählt? Aber er war bereits in Freistadt.«
»Spielt das eine Rolle? Er dient jedem, der ihn bezahlt«, meinte Justen verächtlich. »Aber er hat es mir nicht persönlich gesagt. Er hat es dem einen Leibwächter erzählt. Dieser erzählte es Fedelia, die es dann wieder jemandem erzählte.« Der Magier aß sein zweites Brötchen und spülte es mit dem Rest des Mosts hinunter.
Auch ich aß erst mein zweites Brötchen auf, ehe ich antwortete. »Die Maßnahmen des alten Herzogs scheinen viele Menschen verärgert zu haben.«
»Besonders Recluce«, bemerkte Justen. Er stand auf und wischte sich Krümel vom Umhang.
»Was könnte Recluce gegen ihn unternehmen?«
»Nichts Besonderes – nur das Herzogtum überfluten, die Heuernte im Herbst vernichten und dafür sorgen, dass in Freistadt kaum Handel möglich ist, solange der Herzog lebt. Nein, höchstens noch seinen besten Kämpen töten, und zwar durch die Hand einer Frau und in aller Öffentlichkeit, und dann ihn im eigenen Schloss ermorden – wahrscheinlich mit Hilfe derselben Frau.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das scheint mir höchst unwahrscheinlich zu sein.«
»Nicht unwahrscheinlicher, als dass ein einfacher Schwarzstabträger den Wachposten des Herzogs entkommt, unversehrt durch das tödliche Ödland reitet und sich sogar der Aufmerksamkeit des mächtigsten Magiers von Candar entzieht.«
Bei dieser nüchternen Aufzählung lief es mir eiskalt über den Rücken. Ich stand schnell auf und wischte mir auch die Krümel ab. »Was kommt als nächstes? Gibt es hier irgendwo einen Laden, wo ich Proviant, Decken und eine wasserdichte Plane kaufen kann?«
Justen breitete theatralisch die Arme aus. »Das ist überhaupt kein Problem. In Howlett ist zwar alles sehr teuer, aber … du brauchst die Sachen.«
»Warum … warum helft Ihr mir?«
»Wer behauptet, dass ich das tue? Ich versuche vielmehr, Antonin nicht zu helfen. Der Zweifel ist eine mächtige Waffe. Sobald er herausfindet, dass du dich in seiner unmittelbaren Nähe aufgehalten hast, wird er stark ins Zweifeln geraten. Und im Moment ist Zweifel in seinem Leben durchaus wünschenswert.« Justen blickte nach unten. »Los, brechen wir auf. Es ist noch früh. Es schneit, gerade soviel, dass man nicht allzu weit sehen kann.« Er schwang sich auf die Trennwand hinunter und sprang neben Rosenfuß in die Box.
Ich folgte – allerdings weniger geschmeidig als er, obwohl ich den Tornister hinuntergeworfen hatte. Ich blieb mit dem Stab in der Luke hängen und wäre beinahe kopfüber hinuntergestürzt.
Justen sagte nichts, sondern sattelte Rosenfuß.
Ich schaute umher.
»Dort«, sagte Justen.
Er hatte recht. Die kleine Tür führte zum stillen Örtchen. Als ich zurückkam, war Rosenfuß gesattelt und aufgezäumt, und Justen überprüfte die ziemlich prallen Satteltaschen. Der Graue Magier sagte nichts, als ich mich abmühte, Gairloch zu satteln. Er bot mir keine Hilfe an, kritisierte mich aber auch nicht.
»So, fertig«, sagte ich nach ein paar Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorgekommen waren.
Er nickte und öffnete die Stalltür. Ich führte Gairloch hinaus. Rosenfuß folgte, ohne dass Justen ihre Zügel hielt. Wie Gairloch trug Rosenfuß eine einfache Hirtentrense, keine Kandare.
Da tauchte der Stalljunge plötzlich auf. »Äh … werte Herren …« Ich blickte Justen an. Er grinste und warf dem Jungen in den schmutzigen Lumpen eine Kupfermünze zu. Hinter dem Kleinen stand die glänzende Kutsche, aber ihre Pferde standen noch in den
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