Magische Verführung
»Aber heute bin ich hier.«
»Und Ihr Wort gilt?« Sie schob die Aufsätze zu einem unordentlichen Haufen zusammen.
»Es sei denn, Sie überzeugen mich vom Gegenteil.« Er beobachtete, wie Annie energisch das Kinn vorreckte und ihre Zähne abermals knirschten. Welche Leidenschaften verbargen sich wohl in diesem scheuen Wesen, das noch gerade zuvor so sittsam errötet war?
»Warum sollte ich?« Sie schnappte sich die schwarze Schultasche und stopfte die Aufsätze hinein. »Sie bedeuten mir nichts.«
Der Katze gefiel das nicht. Dem Mann ebenso wenig. »Das war aber nicht sehr nett.«
Sie funkelte ihn böse an, dann widmete sie sich wieder dem Packen ihrer Tasche. Es war ihr anzusehen, dass sie krampfhaft überlegte, ob er es ernst meinte oder sie nur hochnahm. Dass ihr die Entscheidung offenbar so schwerfiel, zeigte ihm, wie selten sie geneckt wurde. Wirklich jammerschade. Denn sobald man Annie neckte, vergaß sie ihre Schüchternheit.
Energisch klappte sie die Tasche zu und schwang sie über die Schulter. Besser gesagt, sie wollte sie über die Schulter schwingen. Zach nahm ihr die Tasche aus der Hand.
»Mr Quinn!« Sie sah ihn an, als würde sie jeden Moment nach ihm schnappen.
Voller Erwartung schnurrte seine Raubkatze und Bryan kicherte. »Niemand nennt Onkel Zach so.«
»Ja, das tut wirklich niemand«, bekräftigte Zach. »Komm, du kleine Knallerbse. Marsch, Marsch!« Mit einem Kopfnicken deutete er auf den Mantel, der achtlos über der Stuhllehne hing. »Vergessen Sie den nicht. Draußen ist es kalt.« Er ging zur Tür, wohl wissend, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen.
Nach kurzem Zögern tat sie genau das. Als sie den Mantel über den strengen grauen Hosenanzug und die maßgeschneiderte weiße Bluse zog, raschelte es verheißungsvoll. Und seine Fantasie lieferte ihm Bilder runder weiblicher Formen, die sich unter den Kleidern verbargen. Wie schade, dass nun nichts davon mehr zu sehen war!
»Nach Ihnen.« Bryan war schon ein paar Schritte vorausgeeilt, und Zach hielt Annie die Tür auf.
Sie hinkte nur ganz leicht, was aber wahrscheinlich auf einen schrecklichen Unfall zurückzuführen war. Oder sie musste mit einer starken Behinderung geboren worden sein und die Ärzte hatten es nicht vollständig beheben können. Wobei es heutzutage kaum etwas gab, was die Ärzte nicht beheben konnten. »Was ist mit Ihrem Bein?«, fragte er sie im Flur.
Sie zauderte kurz, dann straffte sie die Schultern und sagte: »Als ich sieben war, ist ein Hochgeschwindigkeitszug entgleist. Dabei wurde mein Bein so zerquetscht, dass nur Fleisch und Knochenstückchen übrig blieben.«
Er spürte, wie sie sich innerlich gegen eine mögliche Verletzung wappnete. »Ich finde, das haben sie gut hingekriegt? Titanium?«
Mit dieser Reaktion hatte sie offenbar nicht gerechnet. »Nein. Eine neuartige Verbindung von Plastik und Stahl.
Hightechmaterialien. Es wächst mit, nur wenige zusätzliche Operationen waren nötig.«
»Und jetzt?«
»Eigentlich ist die Behandlung abgeschlossen, es sei denn, ich verletze mich.«
Zach wusste, dass mehr dahintersteckte. »Tut es noch weh?«
Sie zögerte. »Manchmal.« Mit einem Kopfnicken deutete sie auf einen der Gänge. »Ich möchte nur sichergehen, dass Morgan auch abgeholt wurde.«
»Warte da vorne auf uns.« Auf Bryan war Verlass, der würde nicht einfach weglaufen; Zach konnte Annie ruhig zum Krankenzimmer begleiten. Über ihre Schulter hinweg sah er in den dunklen Raum. »Keiner da.«
Erschreckt fuhr sie zusammen. »Sie schleichen wie eine Katze!«
»Ich bin eine, Schätzchen.« Er wollte sie noch ein wenig necken und knurrte.
Abermals verfärbten sich ihre Wangen, doch sie wich nicht zurück. »Haben Sie vor, den ganzen Abend dort stehen zu bleiben?«
»Ja.« Er holte tief Luft, nur allzu gerne hätte er seinen Kopf an ihren Hals gelegt. »Sie riechen so gut. Darf ich Sie anknabbern?« Die Frage war nur halbwegs ernst gemeint. »Nur ein klitzekleines bisschen?«
»Mr Quinn!« Empört marschierte sie davon.
Aber er hatte bereits ihre Erregung gewittert. Von nun an würde er sich von seiner besten Seite zeigen, um sie ja nicht zu verschrecken, denn er wollte sie doch behalten.
Kurz darauf waren sie an der Eingangstür, wo Bryan geduldig wartete. Zach stieß die Tür auf. »Bleib mir auf den Fersen«, wies er seinen Neffen an. Bryan war zwar katzenhaft flink, aber auch nur ein Kind. Manchmal achtete er nicht auf den Weg, und Autos konnten Gestaltwandlerkindern
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