Magische Zeiten - Ploetzlich verzaubert
unseres ziehen.
Ich klimperte mit den Wimpern, und als das keine Wirkung zeigte, stellte ich mich breitbeinig vor meinen Vater auf die Treppe, die Knie leicht gebeugt, und streckte beide Arme vor. Dabei legte ich Ring- und Mittelfinger übereinander und spreizte den kleinen und den Zeigefinger weit ab. »Jo!«, legte ich los und mein Vater stöhnte auf. Ich rappe und hoppe für mein Leben gern, und zwar deluxe © , aber mein Vater kann damit wenig anfangen. Abhalten lassen darf man sich von so was nicht.
Jo, jo, jo, jo…
Wenn ich nicht bald mein Zimmer bekomm,
dann zieh ich eben aus, und zwar aufn Balkon.
Ich hab nun keinen Bock, noch länger zu warten,
dann hau ich eben ab, wenn’s sein muss in nen Garten.
Okay, das war nicht gerade eine Glanzleistung, aber Rappen muss man halt üben, wann und wo immer es geht. Ich atmete ein paarmal tief durch, dann rief ich: »Hör auf zu lachen!«
»Aber wieso? Ich freue mich doch nur darüber, wie talentiert meine Tochter ist.«
»Dann freu dich anders«, sagte ich düster.
»Nur Geduld wegen des Dachbodens«, meinte er schließlich, »ich hab’s nicht vergessen. Ich schwör’s.«
Das mit dem Schwören ist so eine Sache. Das tut er schon geschlagene zwei Jahre lang und nichts ist passiert. »Gut, dann lass uns in die Hände spucken und sie schütteln, um den Schwur zu besiegeln«, schlug ich vor.
»Wie bitte? Nein!« Angewidert verzog er das Gesicht. »Ich muss jetzt in die Praxis…«
»War nur ein Scherz. Es reicht, wenn du um Mitternacht vor meinen Augen eine rohe Schweineleber verspeist.«
Er schüttelte den Kopf. »Hahaha, na dann, bis später im Garten.«
Später im Garten sollte endlich mein Geburtstag gefeiert werden. Nachdem ich mir in der Küche ein Brot mit Schinken und Käse belegt und obendrauf Marmelade geschmiert hatte, rannte ich wieder die Treppe hinauf in unser Zimmer. Es ist ziemlich groß, immerhin, und wir haben unsere beiden Hälften völlig unterschiedlich eingerichtet. Suses Wände sind rot gestrichen mit einer Glitzerschicht darauf, am Kopfende ihres Bettes hat sie einen riesengroßen chinesischen weißen Fächer mit Kirschblüten aufgehängt und dann noch mal um alles verschiedene Lichterketten geschlungen. In ihre Regale ist alles Mögliche gestopft, was keiner braucht, Parfümfläschchen, Kerzen, Postkarten, Schneekugeln, kleine Vasen und so weiter.
Meine Wände sind weiß und, von einem Schwarz-Weiß-Foto von Audrey Hepburn abgesehen, ganz leer. Vor meinem Bett liegt ein Teppich mit Zebrafellmuster und in meinen Regalen stehen Bücher und CDs, sonst nichts. Ich legte das angebissene Brot auf meinen Schreibtisch, fischte den schweren Schlüssel aus der Schublade, warf mich auf den Boden und krabbelte unters Bett, wo ich das rot-goldene Schatzkästchen verstaut hatte. Der Schlüssel glitt wie von selbst in das Schloss. Die beiden goldenen Ringe funkelten mit den Diamanten um die Wette. Ich nahm den mit dem blauen Stein heraus und hielt ihn in meinen zitternden Fingern. Um genau zu sein, schlotterte ich am ganzen Leib. Denn dieser Ring hatte aus mir einen verdammten Freak gemacht. Ich überlegte, ob es besser war, auf Suse zu warten, oder ob ich allein einen weiteren Versuch durchziehen sollte. Die Entscheidung wurde mir abgenommen, als Suse ins Zimmer stürmte.
»Was machst du denn schon hier?«
»Die letzte Stunde ist ausgefallen.«
»Und die Landkarte?«
Suse plumpste neben mir auf den Boden und grinste. »Ich habe ihr ziemlich bildhaft geschildert, wie du dich in die Kloschüssel übergeben hast. Ich glaube, ich habe auch noch was von wegen schlimmem Durchfall gesagt.«
»Vor der ganzen Klasse?!«, fragte ich entsetzt.
»Kleiner Scherz. Natürlich nicht. Und jetzt erzähl endlich. Wie hat sich das angefühlt?«
»Ich weiß auch nicht, erst wurde mir übel, meine ganze Haut hat gekribbelt. Es war, wie wenn man im Affenzahn durch einen Looping rast. Und dann habe ich alles vor mir gesehen wie im Film. Nur dass meine Augen die Kamera waren. Sozusagen.«
Ich hatte den Satz noch nicht beendet, als Suse bereits den anderen Ring aus dem Kästchen zerrte, auf den Finger schob, die Augen fest zusammenkniff und laut rief: »Ich möchte wissen, ob Heiko mich heute auf deiner Geburtstagsfeier küsst.«
Heiko? Ich musste kurz überlegen, welchen Heiko sie meinte. Suse ist ständig in irgendeinen Jungen verknallt, da komme ich manchmal nicht hinterher. »Der Heiko? Der aus unserer Klasse?«
Normalerweise steht Suse nicht auf Jungs
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