Magische Zeiten - Ploetzlich verzaubert
Verandatür stapelten sich meine Geschenke. Möglichst unauffällig nahm ich ein in silbernes Lackpapier eingewickeltes Päckchen und schüttelte es. Es klapperte leise. Doch ein Smartphone? Ein MP3-Player? Ein Kopfhörer? Meine Gedanken wurden von einem jämmerlichen Miauen unterbrochen, das von meinen Beinen heraufklang. Mau schlängelte sich in Achterfiguren um meine Fußknöchel, während sie mich nicht aus ihren bernsteinfarbenen Augen ließ. »Miau«, wiederholte sie mit Nachdruck. Ihr lasst mich hier alle verhungern, sagten diese Augen. Wegen einer blöden Geburtstagsparty.
»Hey, was heißt hier blöd.« Ich schob sie mit dem Fuß zur Seite. »Außerdem hab ich dich vorhin höchstpersönlich mit Sardinen gefüttert!«
Mau sprang auf den Geschenkestapel und rieb ihren Kopf an meiner Hand.
»Hör auf damit. Es gibt nichts mehr zu fressen. Aus, Schluss, basta.«
Sie wartete noch einen Moment, dann zuckte sie mit dem Schwanz, als wollte sie sagen, schön, ich hab’s halt mal versucht, und sprang vom Tisch. Ein letzter Blick auf mich, dann schoss sie wie eine weiße Fellkugel davon, jagte quer durch den Garten und verschwand hinter einer Hecke. Ich zupfte an einem kleinen Päckchen in rot-gelb-gestreiftem Geschenkpapier herum und tat beschäftigt. Doch in Wahrheit wartete ich nur auf Tom. Tom und ich haben schon gemeinsam Holzklötzchen aufeinandergestapelt, so lange kennen wir uns. Seine Eltern sind mit meinen befreundet. Tom ist eine Klasse über mir. Bis vor einer Woche waren wir einfach gute Freunde, alles ganz normal, wir fuhren zusammen Rad, er hat mir bei den Mathehausaufgaben geholfen oder sich meine Rap-Songs angehört.
Und dann kam Alenyas Slumber-Party. Ich nenne so was ja einfach nur Pyjama-Party, aber Alenya steht auf Highschool-Filme und alles, was damit zu tun hat. Und das ist der Grund dafür, dass ich bei meinem ersten Kuss ausgerechnet ein Nachthemd anhatte. Tom trug eine Schlafmütze auf dem Kopf und einen Kerzenhalter in der rechten Hand. Schon den ganzen Abend über hatte ich das Gefühl, dass er mich nicht nur öfter, sondern vor allem anders anguckte als sonst. Ich konnte mir da keinen Reim drauf machen. Erst dachte ich, er hätte Probleme mit den Augen oder zu viel am Computer gespielt, da bekommt man oft auch so einen starren Blick. Vielleicht lag es aber an dem Nachthemd, das ich trug und das eigentlich ein Negligé war. Ich hatte es mir von meiner Mutter geliehen, es war magentafarben (behauptete meine Mutter, ich würde die Farbe schlicht und ergreifend Pink nennen) und seidig und viel zu weit für mich. Es ging mir über die Knie, während es bei meiner Mutter gerade mal über die Oberschenkel reicht. Ich hatte einen silbernen Gürtel drum geschlungen und ein Tuch um meinen Hals gewickelt, damit der tiefe Ausschnitt nicht so zu sehen war. Ich fühlte mich zwar etwas unwohl in meiner Haut und zugleich ungeheuer… erwachsen.
Als Tom nach Hause gehen wollte, weil so eine Slumber-Party für Jungs wirklich eine öde Sache ist, kam ich gerade von der Toilette und wir prallten unter der Treppe fast ineinander. Plötzlich war da ein Kitzeln in meinem Bauch. Er lächelte mich an, er hat so eine kleine Zahnlücke zwischen den Vorderzähnen, und es war nicht das erste Mal, dass ich dachte, wie unglaublich süß es aussieht, wenn er lächelt. Seine fast schwarzen Augen jedoch, die mit den goldenen Punkten drin, die blickten ganz ernst. Ich dachte, ich werde auf der Stelle ohnmächtig. Meine Hände waren klitschnass, deswegen wollte ich sie kurz in die Hosentaschen stecken, damit sie wieder trocken wurden. Nur dass ich ja gar keine Hose anhatte.
Suse und ich hatten schon oft darüber gesprochen, wie das mit dem Küssen geht. Die stundenlangen Recherchen im Internet ergaben folgende Tipps:
1. Immer schön locker bleiben. (Haha.)
2. Das Gesicht drehen, damit die Nasen nicht aneinanderstoßen.
3. Leicht an seinen Lippen saugen.
4. Die Lippen öffnen und behutsam mit der eigenen Zungenspitze die Zungenspitze des Jungen berühren.
Außerdem fanden wir heraus, dass man beim Küssen zwölf Kalorien pro Minute verbrennt, zirka fünfzig Gesichtsmuskeln bewegt und um die zweihundertsiebzig Bakterien austauscht. Wir sahen uns auch Videos mit Anleitungen im Netz an und haben mit durchgeschnittenen Orangen geübt. Es dauerte nicht lange und wir aßen die Orangenhälften auf. Unter der Treppe wünschte ich, ich wäre damals mit etwas mehr Ernst bei der Sache gewesen. Mein Herz schlug ziemlich
Weitere Kostenlose Bücher