Magische Zeiten - Ploetzlich verzaubert
»Besten Dank, Frau LeMarr. Was für ein überaus nützliches Geschenk.« Sie drehte sich auf die Seite und wir schwiegen ziemlich lange.
Ich dachte vor allem darüber nach, was ich jetzt bei meinem Date mit Tom tragen sollte. »Meinst du, ich kann mein rotes Kapuzenshirt anziehen?«, fragte ich laut.
Suse stützte den Kopf auf den Ellbogen: »Das mit der Gonzo-Faust drauf? Kommt darauf an, wie warm es ist. Mich würde ja echt mal interessieren, was unsere Ururoma damals für ein Date angezogen hat. Oder wie man das früher genannt hat.«
»Stelldichein?«, schlug ich vor, aber da wurde Suse plötzlich starr und bleich wie Camembert.
»Suse?«
Ihre Pupillen bewegten sich hektisch, als würde sie etwas beobachten. Ein Tennismatch oder so. Mau hob fauchend den Kopf. Was in aller Welt? Ich rüttelte Suse an den Schultern. Keine Reaktion. Dann sprang ich auf, nahm die Flasche Wasser von meinem Nachttisch und spritzte Suse etwas (okay, etwas mehr) davon ins Gesicht. Da blinzelte sie ein paarmal und begann zu husten.
»Heilige Scheiße«, stieß sie röchelnd hervor. »Das gibt’s ja nicht!«
Durch das Wasser war die ganze Wimperntusche verschmiert, sie sah aus wie ein Waschbär. »Alles in Ordnung?«, erkundigte ich mich vorsichtig.
»Oh Mann, du kannst dir nicht vorstellen, was gerade passiert ist. Das war richtig abgefahren!«
»Was, hat’s also doch geklappt? Na los, erzähl schon!«
»Du wirst es nicht glauben, aber ich hab sie gesehen!«
»Wen denn?«, fragte ich, obwohl ich befürchtete, die Antwort zu kennen.
»Wahnsinn. Ich hab sie echt gesehen und sie war wunderschön angezogen. Sie hatte ein glitzerndes Abendkleid an mit ganz vielen Pailletten und einer Stoffschleife um die Hüfte und Schuhe mit Spangen. Und sie hatte so einen Bubikopf und trug ein Stirnband. Wie im Kino.«
»Suse, WER?«
»Ich habe Elsa gesehen«, flüsterte sie.
»Du… du… hast was?«
»Ich habe Elsa gesehen – als junge Frau.«
Ach du grüne Neune, sie konnte also – in die Vergangenheit sehen? Nur weil sie laut drüber nachgedacht hat, was unsere Ururoma zu einem Date getragen haben mag? War es das? »Und was genau hast du gesehen?«
»Da war ein Raum mit riesengroßen Sofas und verschnörkelten Tischen und jeder Menge Teppichen. Auf einer Kommode stand ein Grammofon und spielte so komischen Jazz.« Sie verdrehte die Augen vor Konzentration. Das war mindestens so unheimlich wie ihre Erstarrungsnummer eben gerade. »Auf den Sofas und Stühlen saßen Leute und dann habe ich sie gesehen. Irre. Unsere Ururoma. Elsa LeMarr.« Ihre Stimme klang jetzt ganz ehrfürchtig.
»Woher weißt du, dass es sie war?«, wisperte ich.
»Da war so ein Typ in einem dunklen Anzug und mit streng nach hinten gekämmtem Haar. Er sagte gerade: ›Elsa, ich liebe Sie!‹«
»Was?« Gegen meinen Willen musste ich kichern. »Echt?«
Suse nickte und lachte laut auf. »Und dabei sind dem Typen fast die Augen aus dem Kopf gefallen. Sie hatte einen wirklich gewaltigen Ausschnitt, sowohl vorne wie auch am Rücken! Der ging fast bis zur Taille. So habe ich mir eine Ururoma nun echt nicht vorgestellt. Die sah so unwahrscheinlich sexy aus. Durften die das damals überhaupt? Wobei ich meine Lippen an ihrer Stelle nicht so schmal schminken würde. Äh…« Sie überlegte kurz. »Geschminkt hätte. Geschminkt haben würde?«
»Und was hat sie gesagt?«
»Gar nichts. Sie hat gelacht, so ein perlendes Lachen, und dann hat sie an ihrer Zigarettenspitze gezogen und ihm Rauch ins Gesicht geblasen. Und dann hast du mir Wasser ins Gesicht geschüttet. Besten Dank dafür.« Sie wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Waschbären-Look deluxe ©.
»Hat dich jemand gesehen?«
»Nein, ich war ja nicht wirklich da . Ich hab das nur beobachtet. Du weißt schon.«
Ich wusste schon und deshalb nickte ich. »Was meinst du, wie alt sie da war?«
»Keine Ahnung, achtzehn. Oder zwanzig?«
Ich rechnete nach. »Das muss dann ja um 1920 herum gewesen sein oder so. Wahnsinn.«
Suse sah ziemlich erschöpft aus, und das konnte ich gut nachempfinden. Diese Sache mit den Ringen war wirklich anstrengend, also richtig körperlich anstrengend. Anstrengender als ein 800-Meter-Lauf – und ich habe wirklich eine gute Kondition. Ich zog ihr den Ring ab, streifte meinen vom Finger und steckte sie beide fein säuberlich zurück in das Kästchen. Dann legten wir uns ins Bett.
Während Suse schon bald fröhlich lossägte, konnte ich natürlich mal wieder nicht einschlafen.
Weitere Kostenlose Bücher