Magische Zeiten - Ploetzlich verzaubert
Ein Eiseshauch fuhr mir über den Rücken. Als ob einem ein Toter ins Genick atmet, kein Scherz. Aber dann musste ich über mich selbst lachen. Wahrscheinlich hatte ich nur zu viele Staffeln von Blood Diary gesehen. In unserem Fall ging es sicher nicht um dunkle Mächte und Schattenreiche und so weiter. Also riss ich mich zusammen und fuhr fort, das Internet zu durchforsten. Ich fand heraus, dass die drei Moiren die Töchter von Zeus gewesen waren. Dann entdeckte ich noch einen Kupferstich von Clotho, Lachesis und Atropos mit Spindel, Lebensfaden und Schere von einem unbekannten Künstler aus dem 16. Jahrhundert. Ich druckte das Bild aus, um es am nächsten Morgen Suse zu zeigen. Vielleicht sagte uns das auch was über »Atropos’ Bann«? Das Rattern des Druckers weckte sie nicht auf, aber einen Moment lang hörte sie auf zu schnarchen. Ah, dachte ich, den Trick muss ich mir merken.
Da meine Augen mittlerweile vor Müdigkeit von alleine zufielen, ging ich zurück ins Bett. Was zum Henker hatte Ururoma Elsa LeMarr uns mit diesem blöden Brief bloß sagen wollen? Und warum hatte sie nicht einfach so was geschrieben:
Liebe Luna, liebe Suse, wie geht es Euch? Mir nicht so gut, denn wenn Ihr das lest, bin ich schon viele Jahre tot. Also, die Ringe haben diese und jene Kräfte, es gibt folgende Regeln zu beachten. Erstens, zweitens, drittens, blablabla.
Mit freundlichen Grüßen, Eure Ururoma Elsa
So was in der Art. Damit hätte man was anfangen können. Aber zumindest hatten wir eines jetzt schwarz auf weiß: Unsere Familie hatte nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ich seufzte. Das Fenster stand weit offen, ein warmer, sanfter Wind strich über mein Gesicht. Der Mond goss silbriges Licht über mein Kopfkissen. Ich wünschte ihm aus alter Verbundenheit eine gute Nacht und schlüpfte unter die Bettdecke. Noch bevor mein Kopf das Kopfkissen berührte, war ich schon eingeschlafen.
Gleich am nächsten Morgen weckte ich Suse, um ihr das Bild von den drei Moiren zu zeigen. Als sie auf den Wecker gesehen hatte, drehte sie sich schimpfend auf die andere Seite. »Ich kann mindestens noch zehn Minuten schlafen.«
»Der frühe Vogel fängt den Wurm.«
»Der frühe Vogel kann mich mal.«
Ich musste also noch zehn Minuten warten, bis sie sich aufsetzte, und weitere fünf, bis sie ansprechbar war. Dann erzählte ich ihr, was ich über die drei Moiren herausgefunden hatte.
»Lebensfaden«, wiederholte sie herzhaft gähnend. Ich konnte dieses Ding hinten in ihrem Hals sehen. »Du Liebe Zeit. Und Atropos ist eine von dreien? Das klingt einfach nur bescheuert.«
»Allerdings.«
»Jetzt guck lieber mal, ob heute in der Schule irgendwas Interessantes passiert.«
»Gleich.« Momentan hatte ich ein anderes Problem. Ich stand noch im Nachthemd vor dem Kleiderschrank und starrte hinein, als würde er mir jeden Augenblick verraten, was ich anziehen sollte. Aber er sagte nichts. Während Suse im Bad war, zog ich mich vier Mal um, weil es zuerst unbedingt die rote Röhrenjeans und die silbernen Sneakers sein mussten, nur dass die graue Bluse überhaupt nicht dazu passte, was mir aber zu spät auffiel. Also erst die Sneakers weg und dann die rote Hose und so ging es immer weiter. Suse wird immer hübscher, je öfter sie sich umzieht, aber ich verliere irgendwann die Nerven.
Meine Mutter kam ins Zimmer. »Na, mein Mond, hast du deinen Geburtstag gut überstanden?« Sie riss mich in die Arme. Das hat aber nicht viel zu bedeuten. Sie reißt mich ständig in die Arme, das ist ihr Temperament. Sie ist ziemlich muskulös, und wenn sie einen drückt, dann spürt man das richtig. Ich finde das toll. Meistens. Manchmal. Vielleicht nicht gerade morgens, wenn ich nicht weiß, was ich anziehen soll.
»Ich hab nichts zum Anziehen«, jammerte ich.
Darauf ging sie gar nicht ein. Sie hört immer nur das, was sie hören will. »Ist Suse im Bad?«
Ich nickte.
»Na, das kann dann ja dauern.«
Wir sollten eigentlich nicht nur jeder ein eigenes Zimmer haben, sondern auch ein eigenes Bad. Momentan teilen wir uns das mit Greg, was okay ist, weil ich nicht glaube, dass er es schon mal länger als drei Minuten am Stück gebraucht hat. Und mit Opa. Der steht zum Glück spät auf, aber wenn Suse erst mal drin ist, habe ich keine Chance. Sperrgebiet. Keiner kommt mehr rein (oder raus), das kann schon mal eine Stunde dauern. Deswegen versuche ich, grundsätzlich vor ihr aufzustehen.
»Mama«, sagte ich. »Wenn du mich nicht endlich loslässt, kann ich mich
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