Magische Zeiten - Ploetzlich verzaubert
um zehn Uhr öffnet, legt sie sich manchmal nach dem Frühstück wieder hin.
»In deinem aber auch nicht.« Meine Mutter arbeitete in Papas Praxis mit und half bei der Abrechnung.
»Ist das für die Schule?«, fragte mein Vater.
»Hmm ja«, nuschelte ich. Inzwischen hatte ich mein viertes Butterbrot verdrückt. Meine Mutter betrachtete mich mit zusammengekniffenen Augen. »Du hast doch nicht etwa Bulimie?«
»Och Mama.«
»Man wird doch mal fragen dürfen.«
Meine Mutter kann es nicht fassen, dass bei mir alles ziemlich glattläuft. Keine Essstörungen, keine Drogen, keine frühzeitigen Schwangerschaften. Es ist, als ob sie geradezu darauf lauert, dass eine Katastrophe über mich hereinbricht. So nach dem Motto »Irgendwann muss es mit den Problemen ja losgehen, dann doch lieber gleich, bevor ich noch beim Warten darauf verrückt werde«.
Tante Jenny brachte uns zur Tür und gab uns jeweils zwei Küsse rechts und links. Sie sah zum Umfallen hübsch aus und duftete nach allem Möglichen, überwiegend nach Vanille. »Macht’s gut, ihr zwei Süßen«, sagte sie und drückte uns jeweils eine Lunchbox in die Hand. »Ich habe euch Zimttoast gemacht. Bis heute Abend.«
Als wir uns dem Schulhof näherten, hockte Matthias auf der Schulmauer und rauchte eine Zigarette. Er ist sechzehn, einmal sitzen geblieben, etwas pummelig und so was wie der Schoolbully, klaut jüngeren Schülern das Taschengeld und hält angeblich schwarze Messen ab. Oder macht Voodoo. Irgend so was. Er verkauft auch Straßenkarten, auf denen die Häuser der Lehrer eingezeichnet sind. Ich weiß echt nicht, wer für so was Geld ausgibt, aber irgendjemand muss ihm das abkaufen, sonst würde er ja nicht immer damit rumlaufen. Meistens stecken die Karten zusammengefaltet in der Tasche seiner Jeans, und wenn ihm jemand fünf Euro gibt, zieht er sie heraus wie eine Pistole.
»Na, Schönheit«, sagte er zu Suse. »Willst du auch ne Zigarette?«
Suse winkte ab.
Matthias musterte sie anerkennend. Er ist seit dem neuen Schuljahr hinter ihr her und verpasst keine Gelegenheit, sie anzuquatschen. So gesehen ist es auch wieder blöd, so hübsch zu sein wie Suse. Da läuft einem jeder nach. Auch der letzte Idiot. Ich rollte mit den Augen und zog sie am Ärmel weg.
»Warte mal, Luna.« Matthias sprang von der Mauer und trat die Zigarette aus. »Mit dir wollte ich sowieso reden. Ich hab gehört, du rappst. Bei MusicStars, mein ich.«
»Und weiter?«
Er grinste breit und baute sich vor mir auf. »Rap ist Männersache, das weiß doch jeder. Männer haben einfach mehr drauf.«
»MÄNNER?«, fragte ich lang gezogen. »Du meinst die Spezies, der du nicht angehörst?« Ha! Was für ein guter Konter. Leider ignorierte er ihn vollkommen.
»Hör zu, ich kann’s nicht leiden, wenn Mädels da auf Club der bösen Frauen machen. Meinetwegen kannst du ruhig auftreten – du könntest ja…?« Er überlegte einen Moment. »Was auf der Triangel vorspielen?« Er wieherte laut los.
»Haha«, sagte ich.
»Richtig rappen können nur Männer«, verkündete er und legte den Arm um Suses Schulter. »Willst mal hören, Baby?«
»Nimm deine Griffel von mir«, fauchte Suse.
»Lass uns gehen«, sagte ich zu ihr.
»Moment noch.« Er beugte sich etwas hinunter, weil er viel größer war als ich, und kam mit seinem Gesicht so nah an meines, dass unsere Nasen fast aneinanderstießen.
»Noch mal zum Mitschreiben: Mädchen können nicht rappen!«, zischte er. »Klar?«
»Dann müsstest du ja ein Mädchen sein«, sagte ich.
Er starrte mich an, richtete sich wieder auf und packte mich an den Schultern. »Ey. Tu dir das nicht an, Kleine. Du hast echt keine Chance. Wenn hier einer gewinnt, dann bin ich das.«
»Lass sie in Ruhe!«, rief Suse. Sie hatte einen ganz dicken Hals vor Wut.
»Was denn?« Matthias lachte. »Glaubst du, ich habe Angst vor dir?«
»Ich sagte, du sollst sie in Ruhe lassen!«
»Oder?«
Sie sah ihm ziemlich lange in die Augen. Dann riss sie das Bein zurück und trat ihm so fest gegen das Schienbein, dass ich glaubte, es knirschen zu hören. Suse hat für ein Mädchen relativ große Füße und außerdem trug sie ja spitze Stiefel. Aua! Matthias ließ mich augenblicklich los, allerdings ohne eine Miene zu verziehen, das muss man ihm lassen. Wahrscheinlich hätte er gern sein Schienbein gerieben, aber den Triumph wollte er uns nicht gönnen. Er starrte uns lieber an, als wäre sein Lieblingshobby, kleine Mädchen zum Frühstück zu verspeisen.
»Wir sind noch
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