Magische Zeiten - Ploetzlich verzaubert
nicht fertig«, knurrte er mich an.
»Ich glaube, doch, das sind wir«, sagte Suse und zog mich hinter sich her. »Was für ein Loser. Der findet sich so cool, der würde glatt Tabasco als Augentropfen benutzen.«
In den ersten beiden Stunden hatten wir Deutsch bei Poldi, für den unsere halbe Klasse schwärmte. Nur ich nicht und Suse auch nicht, was sie wahrscheinlich selbst am meisten wunderte. Danach wieder mal Landkarten-Terror, der auch sofort losging, als sie in der nächsten Stunde zusammen mit ihren Krampfadern ins Zimmer kam.
»Hinsetzen, alle!« Ich weiß nicht, ob sie jemals »Guten Morgen« gesagt hat, zu uns zumindest nicht. »Ich möchte euch eine neue Schülerin vorstellen. Sie kommt aus Amerika. Seid nett und fair zu ihr, es ist nicht leicht, mitten im Schuljahr zu wechseln.« Dann wandte sie sich an das Mädchen neben sich. Es hatte kurze weißblonde Haare mit einer Tolle und große Augen, fast lila. »Verrätst du der Klasse deinen Namen?«
»Marli«, sagte das Mädchen. Ich runzelte die Stirn. Hießen amerikanische Mädchen nicht Apple oder Summer und so weiter?
»Marli wie?«
»Rosenfeld.«
»Schön, Marli Rosenfeld, bevor wir jetzt mit dem Mathematikunterricht anfangen, könntest du uns doch ein wenig von dir erzählen. Damit wir etwas mehr über dich erfahren«, sagte die Landkarte, wobei sie nicht gerade begeistert zu sein schien, noch eine von unserer Sorte kennenzulernen.
Marli nickte. Sie tat mir richtig leid. Es war bestimmt schrecklich, vor so vielen Fremden sprechen zu müssen. Allein bei der Vorstellung, jetzt in ihrer Haut zu stecken, bekam ich feuchte Hände. Doch Marli stand da, ganz locker mit erhobenem Kopf, ließ einmal den Blick über die Klasse schweifen und sagte dann mit klarer Stimme: »Hallo. Ich habe mit meinem Vater die letzten zwei Jahre in New York gelebt, komme aber ursprünglich aus München. Und jetzt wohnen wir seit ein paar Tagen hier. Mein Vater macht Musik für Hörspiele und Filme und so was. Ich bin dreizehn Jahre alt und ich freue mich schon darauf, euch alle kennenzulernen.« Sie stellte immer wieder Blickkontakt her und lächelte freundlich.
Als ich mich umsah, konnte ich pulsierende Herzchen in den Augen der Jungs sehen. Echt! Eventuell hatte mich auch nur die Sonne geblendet. Aber: Hut ab! Lernte man so was in Amerika? So selbstbewusst und locker zu sein? Sich vor eine neue Klasse zu stellen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken?
Jetzt drehte sie sich auch noch zu der Landkarte um und strahlte sie an. »Ich glaube, das war’s erst mal, Frau Landauer.«
Die Landkarte schluckte und räusperte sich. Sie schien auch verblüfft zu sein. »Ja, sehr schön dann, Marli. Setz dich doch… hier, neben Suse ist noch ein Platz frei.«
Die Landkarte teilte die korrigierten Tests aus und ich Mathe-Ass hatte, wie geahnt und befürchtet, eine Fünf. »Da war ich übrigens noch großzügig, Luna«, sagte sie. »Wenn du so weitermachst, seh ich schwarz. – So und jetzt«, rief sie, als sie wieder vorn an ihrem Lehrerpult stand, »Ruhe. Alles, was nichts mit Mathematik zu tun hat, kommt jetzt mal weg!«
»Ich glaube, dann gehe ich auch«, flüsterte ich Suse über die Schulter zu. Normalerweise hätte sie sich jetzt weggeschmissen vor Lachen. Aber von ihr kam nichts. Als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass sie in ein Flüster-Gespräch mit Marli vertieft war. Das ging die ganze Stunde so.
Als es endlich klingelte und alle aus dem Klassenzimmer stürmten, hielt die Landkarte mich am Arm fest.
»Luna«, sagte sie. »Was war denn gestern mit dir los? Du bist mitten im Unterricht gegangen und…«
»Ach ja, hatte ich ja ganz vergessen.« Ich zog das
Schreiben von Opa aus der hinteren Jeanstasche. »Die Entschuldigung.«
Die Landkarte nickte. Ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, fuhr sie fort: »Ich kenne dich jetzt schon eine Weile, Luna. Und auch wenn du in Mathematik selten Höchstleistungen an den Tag legst, weiß ich, dass du es besser kannst. Also. Du wirst den Test nachschreiben. Morgen nach der letzten Stunde.«
Ich nickte erstaunt. Jemanden einen unangekündigten Test nachschreiben zu lassen, war wirklich ein netter Zug. So kannte ich die Landkarte gar nicht. Die Wechseljahre vielleicht?
»Danke«, murmelte ich und machte schleunigst die Biege.
Aber nicht, dass Suse auf mich gewartet hätte. Nicht, dass irgendjemand auf mich gewartet hätte. In der Cafeteria entdeckte ich sie mit der Neuen. Als ich mich zu ihnen setzte, sah Suse mich
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