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Magische Zeiten - Ploetzlich verzaubert

Magische Zeiten - Ploetzlich verzaubert

Titel: Magische Zeiten - Ploetzlich verzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Henkel
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aufstand, wir liefen uns also nicht mal im Bad oder später beim Frühstück über den Weg. Meine ganze Familie schaute mich mitleidig an, wenn ich mich neben Suses leeren Stuhl setzte und so tat, als wäre alles wie immer. Sobald mich jemand darauf ansprach, machte ich mit dem Zeigefinger so eine Sägebewegung an meinem Hals. Das wurde zum Glück von allen verstanden.
    In der Schule konnte ich mich kaum noch konzentrieren. Das war nicht besonders schlimm, weil ich genug gute Noten abgesahnt hatte, um mich eine Zeit lang entspannt zurücklehnen zu können. Aber mit entspannt war nix, weil ich leider immer ungewollt mitbekam, wie Suse und Marli sich über ihr Training unterhielten wie in einer Fremdsprache. Backflip und Wall Run und Monkey Vault und so fort. Dieses ganze Gequatsche ging mir mächtig gegen den Strich.
    Vor allem der Teufelssprung, den Marli inzwischen offenbar jeden Tag frühmorgens in den Swimmingpool vom Jockel-Direx machte, während Suse oben auf der Mauer hockte und ihr hinterhersah. Und wahrscheinlich jedes Mal in Jubel ausbrach. Frau Jockel hatte einen Friseursalon und verließ sehr früh morgens das Haus, wie Marli herausgefunden hatte, Kinder gab es keine und die Putzfrau kam erst um zehn. Also hatten sie jeden Morgen außer am Wochenende freie Bahn.
    Ich erfuhr mehr über die ganze Sache, als ich wollte. Und deswegen gewöhnte ich mir an, in den kurzen Pausen zwischen den Stunden die Stöpsel meines MP3-Players in die Ohren zu stopfen. Aber die beiden flüsterten ja sogar während des Unterrichts weiter. Als ob es überhaupt nichts anderes mehr auf der Welt gäbe als Freerunning. Es kam mir so vor, als hätte sich Suses Stimme verändert. Sie betonte die Worte anders, sie klang auf einmal wie… ja, wie? Genauso wie Marli, das war es.
    Mit Tom war gerade eine komische Sendepause. Er ging nach der Schule immer sofort nach Hause, egal was ich ihm vorschlug. Eis essen. Volleyball. Im Gras rumliegen und Musik hören. Küssen. Aber er machte völlig dicht.
    »Alles okay bei dir, ist irgendwas?«, fragte ich, mein Herz fühlte sich dabei wie tiefgefroren an.
    »Nein, alles gut. Ich…« Er sah mich sehr ernst an. »Hör zu, Luna. Ich vermute da was, mit meinen Eltern, meine ich. Aber ich bin mir noch nicht sicher und will deswegen noch nicht darüber reden, okay?« Er holte tief Luft, und dann fragte er noch mal: »Okay?«
    »Schon gut, okay«, murmelte ich verdutzt. Es gab Krach bei ihm zu Hause oder was? Warum erzählte er mir dann nicht davon? So kannte ich ihn gar nicht. So abweisend. Dann nahm Tom meine Hand. »Sei nicht sauer, Luna. Ich kann da wirklich noch nicht drüber reden. Es hat nichts mit uns zu tun.«
    So ein flaues Gefühl blieb aber in meinem Bauch. Es waren die letzten Wochen im September und nicht nur in mir, sondern auch draußen wurde es langsam immer kühler. Inzwischen konnte ich wenigstens jeden Tag morgens meine Lieblingslederjacke anziehen. Suse war Luft für mich. Ich war Luft für sie. Manchmal saßen wir an unseren Schreibtischen und machten Schularbeiten oder telefonierten und dann taten wir so, als ob die andere unsichtbar wäre. Wir achteten sorgsam darauf, die giftgrüne Linie nicht zu übertreten. Die Freundschaftsbändchen, die wir bei unserem Streit in die Mitte geschleudert hatten, waren verschwunden. Wohin, wusste ich nicht.
    Auch wenn ich mich bemühte, nach außen so zu tun, als ob in meinem Leben alles rund liefe, war ich einfach nur traurig. Traurig, traurig, traurig. Ich weinte wegen Suse, ich weinte um Tom, weil ich ihn vermisste, und ich hatte Angst, dass Opa bald sterben würde. Ich heulte nur, wenn es niemand sah. Im Baumhaus oder nachts im Bett, dann aber ganz leise. Ich hatte eine riesengroße Narbe auf dem Herzen und konnte mir nicht vorstellen, dass die jemals verheilen würde. Düster war es in meinem Leben geworden, als würde ich ständig eine dunkle Sonnenbrille tragen, obwohl keine Sonne schien. Manchmal fiel es mir sogar schwer zu atmen, ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
    Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte.
    An einem Mittag machte ich gerade Hausaufgaben in meiner Zimmerhälfte, als Opa hereinkam, ohne anzuklopfen.
    »Hey«, sagte er.
    »Selber hey.« Ich versuchte zu lächeln, aber es gelang mir nicht so recht. Lag vielleicht an der Matheaufgabe, vielleicht aber auch an allem anderen.
    »Alle ausgeflogen?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Meine Eltern waren in der Praxis, Tante Jenny in ihrem

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