Magma
diesem Auto eine besondere Bewandtnis hatte. Er konnte nirgendwo das Symbol von VEKTOR entdecken. Das war ungewöhnlich, wenn man bedachte, dass es hier in letzter Zeit von den gelben Dreiecken nur so wimmelte. Außerdem steuerte der Fahrer so unbeholfen, dass sofort klar war, dass er keine Übung im Umgang mit vereisten Pisten hatte. Das Heck schlingerte von einer Seite zur anderen, und mehr als einmal stand der Wagen kurz davor, im Graben zu landen. Nur eine dünne Schicht Rollsplitt hielten Fahrer und Fahrzeug davon ab, sich mit der Nase in eine der meterhohen Schneeverwehungen entlang der Strecke zu bohren. Trotzdem machte der Fahrer keine Anstalten, mit dem Fuß vom Gas runterzugehen. Mit unvermindertem Tempo bretterte er über die Piste, die die schweren Maschinen vor nicht mal drei Tagen in den Schnee gefräst hatten.
»Da hat es aber jemand verdammt eilig«, murmelte er in seinen Bart und setzte sein Fernglas ab. Mit der Linken kraulte er seinem Wolf, der neben ihm Stellung bezogen hatte, den Kopf.
Seit die erste Straßenwalze hier aufgetaucht war und damit begonnen hatte, den See für Fahrzeuge erreichbar zu machen, war es hier zugegangen wie in einem Ameisenhaufen. Halogenscheinwerfer, Tag und Nacht in Betrieb, beleuchteten eine Stadt aus Zelten, die über Nacht wie Pilze aus dem Boden geschossen waren. Merkwürdige Zelte waren das, wie riesige Iglus, die von innen beleuchtet waren und dem eiskalten Wind der sibirischen Tundra trotzten. Um die Siedlung war in Windeseile ein meterhoher Zaun gespannt worden, dessen keramische Bodenverankerungen darauf schließen ließen, dass er unter Hochspannung stand. Was immer es auch war, das die Leute von VEKTOR hier im Permafrostboden gefunden hatten, es musste von beträchtlichem Wert sein. Der Fallensteller erinnerte sich noch gut an das Gefühl, das ihn beim Berühren der Kugel durchströmt hatte, das Gefühl, etwas ganz und gar Fremdes angefasst zu haben. Kurze Zeit nach diesem Erlebnis war die Luft vom Dröhnen schwerer Hubschrauberturbinen zerrissen worden. Er hatte gesehen, wie vier Sikorskys herandonnerten, schwer behängt mit eisernen Containern und randvoll beladen mit Leuten in gelben Thermoanzügen. Es war ihm gelungen, den Schauplatz des Unglücks in letzter Minute zu verlassen, aber seit diesem Augenblick war es mit der Stille in der Tundra vorbei gewesen. Tag und Nacht war das Hämmern, das Bohren und Sägen zu hören gewesen, und als sei das noch nicht genug, glaubte der Fallensteller immer noch den regelmäßigen Herzschlag zu spüren, der die Erde unter seinen Füßen in Schwingung versetzte. Für kurze Zeit war er in seine Blockhütte zurückgekehrt, um Proviant zu holen. Seither lag er auf der Lauer und beobachtete das geschäftige Treiben. Die Ankunft des Fahrzeugs warf neue Fragen auf. Er presste das Fernglas wieder an die Augen und bemühte sich, ruhig zu atmen. Der Lada hatte das Schiebetor erreicht. Die Wagentüren öffneten sich und es traten zwei vermummte Gestalten heraus, eine groß, die andere deutlich kleiner. Der Fallensteller konnte wegen der Entfernung und aufgrund der dicken Overalls und Mützen nicht erkennen, ob es sich bei der kleineren um eine Frau handelte. Vermutlich. Zwei Männer in der dunklen Uniform der Nationalgarde verließen das Wachhäuschen und kamen, die Kalaschnikows im Anschlag, auf die Neuankömmlinge zu. Sie ließen sich Ausweispapiere zeigen und wiesen die beiden dann an, im Auto zu warten. Einer der Soldaten verschwand mit den Papieren und kehrte etwa zehn Minuten später in Begleitung einer weiteren Person zurück. Der Fallensteller erkannte an der Kopfbedeckung einen der höherrangigen Offiziere. Er ging auf den Lada zu, und die beiden Neuankömmlinge stiegen wieder aus. Es folgte eine äußerst hitzige Diskussion. Während der Offizier die Ruhe in Person war, schien besonders die Frau immer mehr außer sich zu geraten. Über irgendetwas regte sie sich maßlos auf. Sie gestikulierte wild, deutete immer wieder auf den See im Zentrum des Lagers und verlangte augenscheinlich Einlass. Doch dieser Bitte wurde nicht entsprochen. Irgendwann endete die Geduld des Offiziers. Er drehte sich um und ging ein paar Schritte in Richtung des Lagers. Die Frau versuchte, ihm zu folgen. Nur mit Mühe konnte sie von ihrem Begleiter zurückgehalten werden, während die zwei Wachsoldaten Warnschüsse in die Luft feuerten. Das zeigte Wirkung. Mit hängenden Köpfen setzten sich die beiden Fremden wieder in ihr Auto, wendeten und
Weitere Kostenlose Bücher