Magma
die Stirn. »Wer ist es? Kenne ich ihn?«
Sie zwinkerte ihm zu. »Wer sagt denn, dass es ein Mann ist?«
»Hör auf mit den Spielchen, ich bin nicht in der Stimmung für derlei Kinderkram.«
Sie seufzte. »Natürlich kennst du ihn. Sehr gut sogar. Und obwohl ich weiß, dass du mir gleich an die Gurgel gehen wirst, bin ich überzeugt, dass er die einzig richtige Wahl ist.«
Weizmann sog scharf die Luft ein. Er konnte nicht glauben, was er da eben gehört hatte. »Tu mir das nicht an«, sagte er, und seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Sag, dass das nicht wahr ist. Du hast
ihm
diesen Auftrag gegeben?«
»Er ist der Einzige, der für diese Aufgabe in Frage kommt.«
»Was ist mit Peterson, mit Chevalier oder Lindström? Sie sind alle verfügbar und alle besser geeignet als dieser … dieser …«
»Er ist der Beste, und das weißt du. Er ist länger bei diesem Projekt als alle anderen. Sogar länger als du und ich.«
Weizmann konnte es immer noch nicht glauben. Er öffnete seinen Mund, um zu protestieren, doch Helène, die sein Gesicht taxiert hatte, hob die Hand. »Ich weiß, was du sagen willst«, fuhr sie dazwischen. »Spar dir deinen Atem. Meine Entscheidung ist unumstößlich. Es gibt niemanden, der besser für diese Aufgabe geeignet wäre als er. Ich weiß das, und du weißt das auch.«
»Keineswegs! Ich …«
»Keine Diskussion. Ich habe entschieden, und dabei bleibt es. Außerdem läuft die Sache bereits. Unser Mann trifft in ebendiesem Moment seine letzten Vorbereitungen für die Reise.«
»Er ist nicht hier?«
»In seinem Quartier. Warum? Möchtest du ihm noch ein paar gute Ratschläge mit auf den Weg geben?« Helène zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe.
Der Professor schüttelte den Kopf. Für einen Moment hatte er geglaubt, er verstünde diese Frau. »Sicher nicht. Zwischen ihm und mir gibt es nichts zu bereden.«
»Dachte ich es mir doch. Dann belassen wir es auch dabei. In dreizehn Stunden geht das Flugzeug ab Zürich nach Guam. Bis dahin ist noch viel zu tun. Ich würde dir vorschlagen, dass du dich sofort an die Arbeit machst. Unser Kontaktmann wird sich übermorgen von Guam aus auf der
Yokosuka
einschiffen, die die
Shinkai
an ihren Zielort bringt. Bis dahin müssen alle Vorbereitungen abgeschlossen sein. Ich zähle auf dich.«
Weizmanns Blick verfinsterte sich. Mit schnellem Schritt und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, eilte er zu seinem Labor.
8
E lla streifte gedankenverloren über den Campus. Die Aktentasche an sich gepresst, ließ sie ihren Blick über die Grünanlagen schweifen, während Bell Hall hinter ihr allmählich in der Ferne verschwand. Der erste schöne Tag in diesem Jahr lockte Scharen von Studenten ins Freie, die sich ins Gras setzten oder es sich auf den Bänken bequem machten. Es war ein Tag wie geschaffen dafür, den Menschen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Kein Wunder nach einer Durststrecke von drei Wochen Regen und Nebel.
Ella beobachte Dutzende von Paaren, die Hand in Hand oder eng umschlungen die Wege entlangschlenderten und, genau wie sie, kein festes Ziel zu haben schienen. Doch im Gegensatz zu ihr waren sie guter Stimmung, während sie einander verliebt in die Augen sahen.
Wann war ich zum letzten Mal verliebt?
, fragte sich Ella, während sie einen Bogen um ein Paar machte, das mitten auf dem Weg stehen geblieben war und sich inniglich küsste.
Wann habe ich zum letzten Mal so dagestanden und die Welt um mich herum vergessen?
Sie wusste es nicht. Es war so lange her, dass sie sich nicht mehr daran erinnern konnte. Als wäre es in einem anderen Leben gewesen. Wütend trat sie nach einem Stein, der auf dem Weg lag. Sie hatte sich doch geschworen, nicht mehr nachzugeben …
Warum nur hatte sie diesen Job in Guam angenommen? Was das bedeutete, war klar. Wieder um die halbe Welt gondeln, spartanische Unterkünfte und einfaches Essen erdulden, wenig Schlaf, keine Intimsphäre, einfachste hygienische Verhältnisse und das Schlimmste – kein Fernsehen. Und das alles nur, weil irgendjemand irgendwo ein Problem hatte. Gab es niemand anderen, der diesen Auftrag hätte durchführen können?
Ella seufzte. Natürlich gab es den. Es gab immer einen anderen. Die Wahrheit lautete, dass sie sich so entschieden hatte, weil sie Angst vor ihrer eigenen Courage hatte. Der Courage, den Weg einzuschlagen, auf dem sie vor annährend zwanzig Jahren so kläglich gescheitert war. Natürlich waren die Signale aus dem Marianengraben merkwürdig,
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