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Magma

Magma

Titel: Magma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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natürlich waren sie es wert, erforscht zu werden, aber nicht unbedingt von ihr. Der Grund für ihre Meinungsänderung lag darin, dass sie sich davor fürchtete, ein zweites Mal dort zu versagen, wo alle anderen mit müheloser Leichtigkeit ihr Glück zu finden schienen. In einer festen Beziehung, einer Ehe, einer Familie. Sie spürte, dass sie einen weiteren Fehlschlag nicht verkraften würde.
    Die Paare um sie herum nahmen keine Notiz von ihr, als sie mit gesenktem Kopf an ihnen vorbeiging, den Kopf voller düsterer Gedanken.
    Sie hatte das Lisner-Auditorium gerade hinter sich gelassen, als ihr Handy klingelte. Wie immer lag es ganz weit unten in ihrer Tasche. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie es gefunden hatte, um dem jämmerlichen Gedudel endlich Einhalt zu gebieten. Zum Glück schien der Anrufer eine geduldige Natur zu sein. Sie drückte die Freigabetaste und hielt das Gerät ans Ohr. »Hallo?«
    Der Hörer gab nur ein unangenehmes Pfeifen von sich.
    »Hallo? Wer ist da?«
    Vielleicht hatte der Anrufer doch schon aufgelegt. Sie wollte die Verbindung gerade beenden, als sich eine Stimme meldete. Sie war schwach und undeutlich und wurde von einem erheblichen Rauschen überlagert. »Spreche ich mit Dr.Jordan?«
    »So ist es«, antwortete Ella. Sie hatte die Stimme noch nie gehört. Sie klang fremdländisch. »Wer ist dort?«
    »Das tut nichts zur Sache. Wichtig ist nur, dass Sie mir aufmerksam und gewissenhaft zuhören.«
    »Wie sind Sie an meine Nummer gekommen?«
    Die Verbindung wurde kurzzeitig schlechter, doch Ella glaubte über das Rauschen hinweg ein trockenes Lachen zu hören. »Fühlen Sie sich in Ihrer Privatsphäre verletzt? Glauben Sie mir, es geschieht zu Ihrem eigenen Wohl.« Die Stimme wurde auf einmal wieder ernst. »Der Grund meines Anrufs ist Ihre bevorstehende Expedition in den Marianengraben.«
    Ella blieb so abrupt stehen, dass ein herannahender Fahrradfahrer nur mit Mühe ausweichen konnte. Unter Fluchen und schrillem Geklingel setzte er seine Fahrt fort. Ella war viel zu aufgebracht, um seinem Gezeter Gehör zu schenken. »Woher wissen Sie davon?«, zischte sie in den Hörer. Und dann, nach einer kurzen Pause: »Man hat mir gesagt, dieses Unternehmen sei streng geheim.«
    »Nicht so geheim, wie manche Leute es sich wünschen«, antwortete die Stimme mit einem amüsierten Unterton. »Genau genommen sind die Details Ihrer Expedition ein offenes Buch für mich. Aber das sollte Sie nicht weiter stören. Ich hege keinen Groll gegen Sie, im Gegenteil. Sie sind eine ausgezeichnete Wissenschaftlerin und werden es mit Sicherheit noch weit bringen. Und nun hören sie mir zu: Tun Sie sich den Gefallen und lehnen Sie den Auftrag ab. Gehen Sie auf keinen Fall an Bord der
Shinkai

    »Warum nicht?«
    »Sagen wir mal so …«, sagte die Stimme in ihrer unerträglich näselnden Art. »Das Schiff wird sinken, und alle, die sich an Bord befinden, werden sterben. Genügt Ihnen das?«
    Ella hatte genug gehört. »Ich werde jetzt auflegen«, sagte sie.
    »Würden sie das tun, wären Sie nicht die Person, für die ich Sie halte.«
    Ihr Daumen schwebte einen Moment lang über der Taste, doch dann siegte die Neugier. »Was haben Sie noch zu sagen?«
    »Kluges Kind. Ich sehe schon, ich habe mich nicht in Ihnen getäuscht. Also hören Sie gut zu: Sagen Sie einfach ab. Lassen Sie sich irgendeine Ausrede einfallen. Begeben sich nicht einmal
in die Nähe
dieses Schiffes. Es wird zu einem Zwischenfall kommen, und zwar in einer Tiefe, in der jeder Unfall mit dem sofortigen Tod sämtlicher Besatzungsmitglieder endet. Beherzigen Sie meinen Rat, dann bleiben Sie am Leben. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
    »Absolut«, fauchte Ella. Doch dann kam ihr ein Gedanke. »Was ist, wenn ich meine Auftraggeber warne und Ihnen von diesem Gespräch berichte? Noch wäre Zeit, Gegenmaßnahmen einzuleiten.«
    Wieder war dieser amüsierte Unterton zu hören. »Sind Sie ernsthaft der Meinung, dass man Ihnen Glauben schenken würde? Einer Frau, die eine gescheiterte Ehe hinter sich hat? Der aufgrund eines schweren Alkoholproblems das Sorgerecht für ihre Tochter aberkannt wurde? Einer Frau, die sich nur deshalb immer wieder in lebensgefährliche Situationen stürzt, weil sie latent suizidgefährdet ist und sich insgeheim wünscht, bei einer ihrer halsbrecherischen Expeditionen ums Leben zu kommen? Von diesen Dingen bis zu einer amtlich beglaubigten Paranoia ist es nur noch ein kleiner Schritt.«
    Ella hielt den Hörer fest umklammert.

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