Magma
Wie konnte dieser Mann all das wissen? Er zitierte da aus psychologischen Gutachten, die anlässlich ihres Scheidungsverfahrens erstellt worden waren und von denen Ella immer geglaubt hatte, sie wären streng vertraulich.
»Hallo, Miss Jordan? Sind Sie noch da?«
»Immerhin nimmt man mich so ernst, dass man mir diesen Auftrag gegeben hat«, keuchte sie in den Hörer.
»Das ist genau der springende Punkt«, erwiderte die Stimme. »Sie haben diesen Auftrag nur deshalb bekommen, weil niemand anderer ihn haben wollte. Um es anders zu formulieren: Ihre Kollegen hängen so sehr am Leben, dass sie sich auf so eine Geschichte nicht einlassen würden. Und das sollten
Sie
auch tun. Das ist alles, was ich zu sagen habe. Adieu, Miss Jordan.«
Es knackte in der Leitung. Der unbekannte Anrufer hatte aufgelegt.
Ella starrte auf das Telefon. Tausend Fragen gingen ihr durch den Kopf. Doch auf keine gab es auch nur ansatzweise eine Antwort. An der Geschichte war etwas dran, das spürte sie mit jeder Faser ihres Körpers. Die fremdländische Stimme, die Insiderinformationen, die Kenntnis des psychologischen Gutachtens, all das fügte sich zu einem bedrohlichen Bild zusammen. Sie war vorsichtig genug, den Anruf nicht leichtfertig als Scherz abzutun. Aber was um alles in der Welt sollte sie jetzt tun?
Langsam, nachdenklich, immer noch hoffend, dass das Handy klingeln und sich der unbekannte Anrufer doch noch als Spaßvogel outen würde, setzte sie ihren Weg fort. Ihre Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht, und nach einer Weile steckte sie das Handy wieder in ihre Tasche.
Sie beschleunigte ihren Schritt
,
ließ die German Library hinter sich zurück und steuerte auf die New Hampshire Avenue zu, einer ruhigen, baumgesäumten Straße, die auf den George Washington Square mündete. Hier lag ihr Hotel, das luxuriöse University Inn. Die Direktorin der Fakultät hatte ihr hier für die Dauer von drei Monaten, bis sie eine eigene Wohnung gefunden hatte, eine Suite zur Verfügung gestellt. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie es hier auch länger ausgehalten, denn die Räume waren ausgesprochen behaglich. Ella konnte sich nicht erinnern, jemals irgendwo so gut geschlafen zu haben wie auf dem breiten Bett aus Zedernholz.
Sie hatte die breite Auffahrt gerade überquert, als ihr Blick auf eine dunkle Gestalt fiel. Ein Handy ans Ohr haltend, ging der Mann gedankenverloren auf und ab. Irgendwoher kannte sie ihn.
Sie verlangsamte ihren Schritt. Der anonyme Anruf steckte ihr immer noch in den Knochen. Als er sich umdrehte, erkannte sie sein Gesicht. Es war einer der beiden Männer, die ihr heute Morgen einen Besuch abgestattet hatten. Der Gutaussehende. Was wollte der denn hier? Hatte er vielleicht etwas mit dem Anruf zu tun?
Zögernd ging sie auf ihn zu. Sie hatte keine Lust auf weitere Unannehmlichkeiten. Ihr Bedarf an Überraschungen war für heute gedeckt. »Mr.Esteban«, sagte sie, als sie vor ihm stand. »Wie schön, Sie wiederzusehen. Haben Sie sich verlaufen?«
Der Mitarbeiter des Naval Office blickte überrascht auf, beendete hastig sein Telefonat und ließ das Handy in der Innentasche seines Jacketts verschwinden. Als er ihren fragenden Blick bemerkte, zuckte er die Schultern und sagte: »Dienstlicher Rapport.« Ein verlegenes Lächeln umspielte seinen Mund. »Der Nachteil, wenn man bei einem Verein wie dem ONR arbeitet.« Ella fiel auf, dass er ihre Frage nicht beantwortet hatte. Doch sie war nicht der Typ, der sich leicht abwimmeln ließ. »Haben Sie auf mich gewartet?«
»Natürlich«, sagte er. »Ich musste Sie unbedingt noch einmal wiedersehen, ehe Sie Ihre Reise antreten.«
Amüsiert hob sie die Augenbraue. »Wie überaus schmeichelhaft.«
»Nicht wahr? Ich hatte ganz vergessen, Ihnen das hier zu geben.« Er griff in seine Aktentasche und holte eine CD - ROM heraus. »Wichtige Daten und Einzelheiten zu Ihrem Auftrag. Ich dachte, es wäre das Gescheiteste, vor Ihrem Hotel auf Sie zu warten und sie Ihnen persönlich zu geben.«
Enttäuscht blickte sie auf das durchsichtige Plastikgehäuse. Irgendwie hatte sie gehofft, dass mehr hinter seinem Besuch steckte. »Na dann … vielen Dank, Mr.Esteban.«
»Joaquin.« Er streckte ihr seine goldbraune Hand entgegen.
»Ella«, erwiderte sie und erwiderte den Gruß. Seine Hand fühlte sich trocken und geschmeidig an. »Wo haben Sie denn Mr.Billings gelassen?«
»Der ist anderweitig beschäftigt. Enttäuscht?«
Sie neigte den Kopf. »Keineswegs,
Joaquin
. Das ist übrigens
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