Magma
kannten das Risiko und sind es eingegangen. Dass die Japaner jetzt dir den Schwarzen Peter in die Schuhe schieben wollen, ist absurd. Die brauchen bloß einen Sündenbock, damit sie vor den Medien gut dastehen. Alles bloß Politik. Es hat mit dir nicht das Geringste zu tun.«
»Da ist Yamagata sicher anderer Meinung. Für ihn bin ich das Böse in Person. Eine fleischgewordene Nemesis. Die Zerstörerin all seiner Träume und Ziele. Du hättest ihn hören sollen, er war kaum noch zu bremsen.«
»Mein Gott, Yamagata ist alt. Für ihn war die Jungfernfahrt der
Shinkai
die Erfüllung seines Lebenstraums. Er hatte vor, seine Karriere mit einem Paukenschlag zu beenden. Dass dieser allerdings so ausfallen würde, damit hat er wohl in seinen kühnsten Träumen nicht gerechnet.«
Ella zog die Beine an und stützte gedankenverloren ihren Kopf auf die Knie. »Was ist da unten eigentlich geschehen? Ich bekomme das alles nicht unter einen Hut«, sagte sie. »So viele Bilder, so viele Eindrücke … und so viele Fragen.«
Esteban griff nach dem Glas Wasser, das neben ihm auf dem Nachttisch stand und nahm einen großen Schluck. »Ich kann dir leider nicht weiterhelfen«, sagte er und stellte das Glas wieder ab. »Ich habe einen totalen Blackout, etwa ab der Stelle, an der Yamagata den Notstart befohlen hat.«
»Du hast nichts verpasst«, sagte Ella mit einem traurigen Lächeln. »Manchmal ist so eine kleine Amnesie ganz hilfreich. Ich würde was drum geben, wenn ich das alles schnell wieder vergessen könnte. Tatsache ist aber, dass ich mich an Dinge zu erinnern glaube, die ich mir beim besten Willen nicht erklären kann. Ich bekomme schon Migräneanfälle, wenn ich bloß daran denke.«
»Was für Dinge?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, lass mal. Manchmal ist es besser, nicht alles zu wissen. Ich muss selbst dahinterkommen.«
»Sprichst du von dem Riss in der Kugel und wie es dazu kam?«
»Unter anderem.« Sie lächelte. Esteban war genauso zäh wie sie, wenn es um etwas wirklich Wichtiges ging. »Die Japaner behaupten, dass die
Shinkai
bei ihrer rasanten Aufwärtsfahrt die Seitenwände des Canyons gerammt haben muss. Der Schlag hätte ausgereicht, um eine minimale Fraktur in der Außenhülle zu erzeugen. Das eintretende Wasser stand unter ungeheurem Druck. Eine halbe Tonne pro Quadratzentimeter. Kannst du dir das vorstellen? Damit werden in der Industrie Stahlklingen geschliffen.«
Ellas Blick fiel auf Estebans Armstumpf, und sie biss sich auf die Lippen. Manchmal konnte sie so taktlos sein. Er hatte nur überlebt, weil der japanische Offizier und sein Arzt so schnell und besonnen gehandelt und eine Notamputation eingeleitet hatten. Das war auch der Grund gewesen, warum sie so lange gebraucht hatten. Doch der Arzt hatte für die Rettung von Estebans Leben mit dem eigenen Leben bezahlt.
»Bitte entschuldige.«
Er winkte ab. »Wieso hat das Wasser wieder aufgehört, in die Kammer einzudringen? Das gibt doch keinen Sinn. Wieso sind wir nicht alle zerdrückt worden?«
Ella schüttelte den Kopf. »Die Frage habe ich auch gestellt, aber die Japaner behaupten, wir hätten das der besonderen Struktur des Stahls zu verdanken. Das Metall für die Kugel wurde nicht gegossen, sondern geschmiedet, und zwar nach einer uralten Methode zur Herstellung von Samurai-Schwertern. Unterschiedliches Eisen von besonderer Reinheit, mehrfach gefaltet usw. Unter Druck bauen sich in diesem Stahl besondere Spannungsfelder auf, die ein Ausbreiten von Frakturen verhindern. So jedenfalls hat man mir das erklärt.«
»Intelligentes Metall also, das in der Lage ist, sich wieder zu verschließen?« Esteban lachte trocken. »Die Samurai in allen Ehren, aber ich habe schon mit zehn aufgehört, an den Osterhasen zu glauben. Das ist doch gequirlte Scheiße.«
»Weißt du von der Explosion?«
»Wie bitte?«
Ella senkte die Stimme. »Das Notebook des Professors. Es gab einen Knall, das Ding flog auseinander. Im selben Moment trat dieser Riss auf. Ich halte das nicht für einen Zufall.«
»Willst du damit sagen …?«
Sie nickte.
»Willst du behaupten, dass der Doc einen Sprengsatz in seinem Notebook versteckt hatte?«
»Wäre doch möglich. Erinnerst du dich nicht mehr an unser Gespräch? Wir haben doch lang und breit darüber geredet. Sein geheimnisvolles Getue, seine Ausdrucksweise und seine Inkompetenz. Es passt alles zusammen.«
Esteban strich sich mit der Hand über die Stirn. »Doch … ja. Ich erinnere mich. Aber ich habe auch gesagt,
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