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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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von dem Hormon gehört, das die Blühenden erhalten, um sie vor dem Welken zu bewahren. Am Ende ihres vierten Lebensjahrzehnts wird es abgesetzt. Damit aber wird die Geschlechtsreife ausgelöst. Das geschieht viermal jährlich bei Vollmond, und zwar gleichzeitig für alle Aspiranten eines Jahrgangs. Diese Metamorphose ist ein unbeschreibliches Finale, ein Wunder der Verwandlung. So wie Engerlinge zu Maikäfern werden, so entpuppen sich glatthäutige Knaben zu bärtigen Männern. Ihre Stimmen werden tiefer, ihre Muskeln härter. Den mädchenhaften Frauen aber schwellen fleischige Brüste. Die Art, wie sie ihre Leiber bewegen, sich die Lippen lecken, lachen und laufen, wirkt auf die Bärtigen so verlockend wie der Duft der Blüten auf die Bienen.
    In den Monaten der leiblichen Reifung leben Männer und Frauen noch getrennt voneinander auf verschiedenen Inseln. Wenn sie dann aber auf Arkadien, dem Eiland der Glückseligkeit, zusammengeführt werden, so erleben sie die letzte Lust wie die Lachse, die sich auch erst am Ende ihres Lebens paaren und dabei in tödliche Raserei verfallen. Auch andere Lebewesen beenden ihr Dasein mit der Begattung, aber kein Geschöpf scheidet so lustvoll aus dem Leben wie der neue Mensch.«
    Sie war aufgestanden und lief in großer Erregung durch den Raum. Dabei bewegte sie ihre Hände so ausdrucksvoll, als spräche sie von den letzten Geheimnissen des Lebens.
    »Lupernika, das ist ein Freudenfest bei Fackelschein, jauchzende Gesänge und aufpeitschende Trommelrhythmen, Leidenschaft nahe beim Wahnsinn, rauschhafte Steigerung der Sinne bis zur Selbstauflösung.«
    Ich war noch zu jung, um zu begreifen, welche Art von Lust den Blühenden da widerfuhr. Ob das etwas mit der Lust zu tun hatte, die ich mir selber zufügte? Erschreckt nahm ich jedoch zur Kenntnis, dass sie allesamt ihr Leben verloren. »Warum müssen sie sterben?«, fragte ich.
    »Weil sie blühen. Schau dir die Blumen in unserem Garten an. Ihre leuchtende Pracht währt nur ein paar Tage. Es gibt keine Schönheit, keine Jugend, kein Glück ohne Vergänglichkeit. Alles, was blüht, muss welken und vergehen.«
    »Aber das geschieht ohne unser Eingreifen. Wir nehmen den Blumen nicht das Leben. Sie können blühen, bis sie von ganz allein vergehen.«
    »Du meinst, Leben nehmen sei unnatürlich? Kein Tier stirbt auf freier Wildbahn an Altersschwäche. Es wird von Mikroben oder Raubtieren umgebracht. Die Natur hat das Sehr-alt-Werden nicht vorgesehen. Sie will, dass sich ein Organismus fortpflanzt. Danach verliert er seinen naturgewollten Sinn und wird beseitigt. Das ist natürlich. Widernatürlich ist der sanfte Tod auf dem Sterbelager in hohem Alter.«
    »Aber warum müssen sie schon so früh aus dem Leben scheiden. Warum können sie nicht länger leben?«
    »Jahrtausendelang sind die Menschen nicht so alt geworden wie wir Heutigen. Die meisten starben schon viel früher. Ein Heer von Achtzig- und Neunzigjährigen gab es erst am Ende der christlichen Zeitrechnung und war wie vieles aus jener Zeit krankhafte Entartung.«
    »Warum krankhaft?«, wollte ich wissen.
    »Millionen von Greisen führten damals ein erbärmliches Leben, das sich auch langes Sterben nennen ließe.«
    Als wir am anderen Morgen die Vorhänge vor unserem Fenster zurückschoben, lagen die jungen Amseln noch leblos in ihrem Nest. Die viel zu großen Schnäbel, die sie sonst weit aufgesperrt den Alten entgegenstreckten, lasteten stumm auf dem Nestrand.
    »Nun schau dir diese müde Bande an!«
    »Sie sind nicht müde, sie sind tot«, sagte Mam.
    »Tot? Wie ist das möglich? Wer hat das getan?«
    »Niemand.«
    »Aber, sie können doch nicht einfach …«
    »Doch, sie können«, unterbrach sie mich. »Das Leben der kleinen Nestvögel ist zerbrechlich wie dünnes Glas. Auch unsere Säuglinge werden nicht alle groß. Nur die Stärksten überleben und, das muss so sein, um ein Leben lang blühen zu können. Aufzucht und Auslese bleiben bei den Tieren dem Zufall überlassen. Das In-die-Welt-Heben unserer Kinder aber ist eine Wissenschaft von höchster Verantwortung, von der unser aller Existenz abhängt.
    Früher benötigte man für so unbedeutende Dinge wie das Lenken eines Autos eine Ausbildung nebst Erlaubnis, aber jeder Dummkopf konnte ohne Befähigungsnachweis Kinder zeugen und großziehen, aus denen sich dann der Abschaum der Menschheit entwickelte, der unseren Planeten fast unbewohnbar gemacht hat.«
    Ich wollte wissen, wann wir die Insel allen Ursprungs endlich besuchen

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