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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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dass solche Lebenskeime bei uns landen. Täglich stürzen Hunderte von Meteoriten auf die Erde. Raumschiffe von unfassbarer Winzigkeit mit Außerirdischen an Bord.«

7. KAPITEL
    D en Nachmittag hatte ich mit Mam hinter dem Haus in der Sonne verbracht. Ohne ihr schwarzes Obergewand sah sie nackt aus, verletzlich wie eine Muschel ohne ihre Schale. Nun neigte der Tag sich seinem Ende zu. In der Ferne blinkte müde das Meer. Die Luft war erfüllt vom Duft der Pinien und Korkeichen. Der Wind, der von der See her wehte, war eingeschlafen. Das Zirpen der Zikaden hatte das Summen der Bienen abgelöst. Nachdem Mam längere Zeit damit verbracht hatte, ins Leere zu starren, erhob sie sich schwerfällig von ihrem Liegestuhl und verkündete: »Kind, ich gedenke einen langen Schlaf zu tun.«
    Als ich anderen Tages nach ihr sah – die Sonne stand schon hoch am Himmel –, schlief sie noch immer. Da ihre Nase ständig verstopft war, pflegte sie auf dem Rücken zu schlafen, mit weit geöffnetem Mund. Ich beugte mich über sie und stellte fest, dass ihre Augen offen standen. Ich berührte ihre Wange und schrak zurück. Kalt und leblos wie Kerzenwachs war die Haut. Ich fasste sie bei den Schultern, wollte sie wachrütteln. Sie war steif, wie aus Holz. Sie war noch anwesend und doch schon unerreichbar weit fort. Es war schaurig, unbeschreiblich schaurig! Vieles aus jener Zeit habe ich vergessen, aber nicht meine erste Begegnung mit dem Tod.
    Erinnerungen können sehr trügerisch sein. Sie spiegeln nur selten die Vergangenheit wider, denn unser Gedächtnis bewahrt nur jene Erlebnisse, die es für wert hält, aufbewahrt zu werden. Vieles überlebt nur skizzenhaft und geschönt. Das meiste versinkt im Vergessen. Mams Tod aber war eine Erfahrung, die sich mir tief eingeprägt hat.
    Das also war der Tod, der einen lebendigen Leib zu einem Gegenstand werden ließ. Ich erfuhr die traurige Fremdheit, die sich auftut zwischen dem toten Körper eines Menschen und den Menschen, die ihn noch vor wenigen Atemzügen geliebt haben. Eine Erfahrung, die den Blühenden erspart bleibt. Wenn sie dem Tod begegnen, so ist es ihr eigener, und den erleben sie in höchster Verzückung. Für sie trägt der Tod eine goldene Maske. Ich begann die Blühenden um ihre heile Kinderwelt zu beneiden.
    Plötzlich lag etwas Unfassbares in der Luft, eine unsichtbare Bedrohung, als ob ein unangenehmer Geruch sich ausbreitete. Er durchdrang das Haus, den Geschmack der Speisen und sogar den Garten. Rosmarin, Baldrian und Myrten dufteten nicht mehr wie früher. Der Tod hatte die Welt verändert.
    An die Bestattung erinnere ich mich nur mit Schaudern. Mitten in der Nacht hatten wir die Leinen losgemacht, um die Tote auf ihrer letzten Reise zu begleiten. Die See war ruhig, als wüssten die Wellen, warum wir sie zur Nachtzeit mit unseren Booten befuhren. Als wir die Toteninsel erreichten, zeigte sich der Mond hinter den nachtschwarzen Zypressen. Wie Grabstelen ragten sie in den Himmel, so als hielten sie Totenwache an den Toren zur Unterwelt. Im kalten Mondlicht trugen wir den Leichnam an Land, eingewickelt in weißes Tuch. Der ganze Orden war anwesend, um Abschied zu nehmen. Keine von uns fehlte. Es war das erste Mal, dass ich an einer Bestattung teilnahm. Wir folgten einem engen Pfad durch dorniges Gestrüpp. Felsbrocken wechselten mit kahlem Boden, bis wir die höchste Erhebung des unheimlichen Eilandes erreicht hatten.
    Auf einer Steinplatte aus grauem Granit wurde der Leichnam niedergelegt. Niemand verlor ein Wort. Die Stille war erdrückend. Unbeweglich wie Bäume umstanden wir die Verstorbene. Endlos erschien mir dieses stumme Verharren. Selbst die Brandung schien innezuhalten. Erst als eine Panflöte ertönte, lösten sich die Frauen aus ihrer Starre. Mit erhobenen Armen und sorgsam gesetzten Schritten umtanzten sie den grauen Granit. Ihre Schatten huschten über den blassen Leib der Toten. Eine Wolke schob sich vor den Mond.
    Der Spuk erlosch so plötzlich, wie er begonnen hatte. Alle starrten auf den Stein, so als würde sich dort gleich ein Wunder ereignen. Fahles Mondlicht sickerte durch die Zweige. Ein Aufschrei! Bewegte sich da nicht etwas? Eine dünne, fast durchsichtige Schlange kam den Grabstein emporgeglitten und tastete sich erregt zitternd auf die Tote zu. Der Mond war jetzt gänzlich hinter der Wolke hervorgeglitten, und nun erkannte auch ich, was sich da auf den Leichnam zubewegte. Es waren Ameisen, ein ganzer Strom von Ameisen tauchte ein in die

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