Magna Mater - Roman
kraulen, werden aber böse, wenn man ihre Jungen anfasst. Vor allem aber sind sie wachsame Bademeister. Solange sie den Strand bevölkern, ist alles in Ordnung. Ihr Fehlen aber signalisiert Gefahr. Dann bleiben auch die Blühenden besser an Land, denn dann sind Haie in der Nähe.
Als junge Frau bin ich gerne dorthin gegangen, um mich unter die Blühenden zu mischen und an ihren Spielen teilzunehmen. Eigentlich war es verboten oder wenigstens unerwünscht, dass Blühende und Reife miteinander badeten, was in Wirklichkeit auch nur sehr selten geschah, denn die meisten Ordensfrauen trauten sich nicht, ihre alternden Leiber vor dem jungen Volk zu entblößen. Ich aber war noch so jung, dass es nicht auffiel, wenn ich mich wie eine Blühende unter Blühenden bewegte.
Ich lag bäuchlings auf dem warmen Sand und beobachtete sie beim Ballspiel, wie sie ihre nackten Leiber streckten, um den Ball zu fangen, wie sie sich bückten und spreizten, wie sie sich gegenseitig mit Öl einrieben. Auch ich war unbekleidet, aber nicht so unbefangen wie sie. Gibt es einen größeren Gegensatz als zwischen uns Reifen und den Blühenden, die einen schwarz vermummt und steif wie die Pinguine, die anderen locker, gelenkig, verspielt und nackt bei jeder sich bietenden Gelegenheit, denn was schön ist, soll auch gezeigt werden. Und sie sind schön, schön und jung, vor allem beneidenswert jung. Ihre sonnengebräunten Leiber glänzen in der Sonne wie poliertes Kauriholz. Tiere bewegen sich so unbefangen. Diese großen Kinder sind sich ihrer Anmut bewusst, vollendet durch sorgfältige Zuchtauswahl und durch stete Arbeit an sich selbst. So wie die Menschen der alten Welt sich mühten, ihr Wissen zu vervollständigen, so arbeiten sie an der Vollkommenheit ihrer Leiber. Schönheit ist wichtiger als Wissen, Anmut edler als Intelligenz.
Viel Aufmerksamkeit gilt dem Kopfschmuck, denn bei aller Nacktheit gibt es keinen, der mit entblößtem Kopf umherlaufen würde. Und was für fantastische Gebilde sie sich dabei einfallen lassen. Manche flechten sich Blüten ins Haar, andere Schleifen. Bunte Tücher türmen sich zum Turban. Seidenbänder umflattern schmeichelnd Hals und Schultern. Federbüsche bewegen sich wippend im Wind. Dieser blütenbunte Kopfschmuck auf schlanken, biegsamen Leibern lässt sie ausschauen wie Blumen. Auch ich schmückte mich dann immer mit einem Blütengebinde, um meinen kahl geschorenen Kopf zu verbergen.
Nackt unter Nackten, sehnte ich mich nach körperlichen Berührungen. Den Blühenden scheint solches Empfinden fremd zu sein. Vielleicht muss der Mensch in der Kindheit Liebe erfahren, um Liebe erleben zu können. Auch die Vögel können nur fliegen, wenn sie es auf dem Nestrand erlernen. Wer nicht mit der Sprache aufwächst, bleibt stumm. Die jungen Nackten an diesem Strand sind für die Liebe wie gemacht und kennen sie nicht. Niemand hat sie als Kind geliebt.
Auch ich habe die Liebe nicht erlebt, und trotzdem sehne ich mich nach ihr. Liegt das wirklich nur an dem Hormon, das wir den Blühenden vorenthalten? Schon als kleines Mädchen habe ich die kleinen Katzen um die Zärtlichkeit beneidet, die sie von ihrer Mutter empfingen, wenn sie, eng aneinandergeschmiegt in ihrem Körbchen, gewärmt, beleckt und gestillt wurden.
»Alle Tiere haben eine Mutter. Warum haben wir keine?«, habe ich unsere Erzieherin gefragt, und sie hat geantwortet: »Weil wir keine Tiere sind.«
Wie gerne wäre ich eins gewesen!
In der Mondfischbucht bin ich ihr begegnet. Sie tollte mit einem Delfin in der Brandung umher. Der Kopfschmuck aus Hibiskusblüten fiel ihr bis auf die Brüste. Meerschaum auf braunen Schultern. Unbefangen wie ein junges Tier, so erschien sie mir.
Die meisten Menschen tragen eine Maske, nicht bloß vor den anderen, sondern auch vor sich selbst. Weder unser Wissen noch unser Wuchs unterscheiden uns Menschen, sondern der Grad der Natürlichkeit. Das Schöne ist der Glanz des Wahren.
Lebenslust leuchtete ihr aus den Augen.
Ich war ihr von Anfang an verfallen.
Als Ordensfrau hatte ich nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, mir eine junge Novizin ins Haus zu holen. Merimé gehörte zu den Blumenkindern, die in den Inselgärtnereien die Pflanzen betreuen. Diese Hege obliegt den Blühenden unterhalb der Geschlechtsreife. Sie hatte die Droge der Purifikation noch nicht empfangen. Der Eintritt in den Orden stand ihr also noch offen. Obwohl ich eigentlich noch zu jung für die Erziehung einer Novizin war, wurde mein Antrag
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