Magna Mater - Roman
uns Ordensfrauen aber gilt: Enge persönliche Kontakte zeugen von Unreife und sind unerwünscht. Das gilt natürlich erst recht für das Zusammenleben von Ordensfrauen mit den ihnen anvertrauten Mädchen. Denn den jungen Blühenden soll so der Eintritt in die Ordenswelt erleichtert werden. Alles, was über dieses Lehrer-Schüler-Verhältnis hinausgeht, gilt als sträfliches Vergehen. Das war mir bekannt, aber keine Kraft der Welt hätte mir meine Liebe zu Merimé zu nehmen vermocht.
»Warum müssen wir vor den anderen so tun, als liebten wir uns nicht?«, hat Merimé mich gefragt. »Warum darf niemand wissen, wie sehr ich dich mag?«
»Erinnere dich: Drei Dinge stehen außerhalb der Vernunft.«
»Ich kenne das Gebot. Wer kennt es nicht? Es verbietet die Liebe zwischen Mann und Frau. Bist du ein Mann?«
Als ich lachend verneinte, streifte sie ihr Gewand ab und rief: »Komm, nimm mich in die Arme! Worauf wartest du?«
10. KAPITEL
R ückblickend erscheint es mir, als hätte ich vor lauter Zunei gung für Merimé meine Arbeit vernachlässigt. Das stimmt natürlich nicht. Dafür sind wir Ordensfrauen viel zu sehr mit unseren Aufgaben verwoben.
Ich arbeitete zu der Zeit an einer Studie über Nützlinge im Feldanbau, eine Aufgabe, die mir viel Freude machte, zumal sie mich mit Merimé verband. Sie hatte einmal auf unseren Blumenfeldern gearbeitet.
Wenn ich abends von der grünen Insel, wie sie das Eiland nannte, heimkehrte, fragte sie: »Lebt Lara, die Eselin mit dem lahmen Hinterfuß, noch? Wie geht es den beiden Lamas? Sie müssten doch längst Fohlen haben.« Sie wollte wissen, ob die Avocadobäume, die sie vor drei Jahren gepflanzt hatten, schon Früchte trugen und ob die Hibiskushecke bei der großen Bananenhalle trotz der Trockenheit blühte. Ein paarmal fragte sie auch nach einem Mädchen, mit dem sie zusammen die Rosen betreut hatte. Es gelang mir nicht, sie ausfindig zu machen. Da die Blühenden im Laufe ihres Lebens unterschiedliche Aufgaben übernehmen, lebte die Kleine vermutlich längst auf einer der Inseln, die für die Keimkraftgewinnung zuständig sind.
Obwohl Merimé die grüne Insel gewiss gerne besucht hätte, bat sie niemals darum, mich begleiten zu dürfen. Und das war auch gut so. Als jüngste Ordensfrau mit einer Novizin musste ich sorgfältig darauf achten, unsere Gefühle füreinander vor den anderen zu verbergen. Schon steckten einige der älteren Ordensfrauen die Köpfe zusammen, sobald sie uns erblickten. Merimé schien das nicht zu beunruhigen. Im Gegenteil, sie genoss die Aufmerksamkeit, die man ihr entgegenbrachte. Sie leuchtete unter den Alten wie eine Mohnblume in einem Kornfeld. Obwohl schwarz gewandet und kahl geschoren, war sie keine Morituri. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes eine Blühende. Wenn sie einen Raum betrat, verstummten die Gespräche. Sie zog alle Blicke auf sich. Ihre Anwesenheit genügte, um uns alle zu verzaubern.
»Sie ist keine von uns.« Niemand sprach das aus, aber viele im Orden empfanden so, und man fragte sich natürlich: »Woraus schöpft dieses junge Ding solch unverschämte Kraft?«
Ich kannte das Geheimnis: Lieben macht mutig. Geliebt werden macht stark.
Es sind nicht so sehr Bilder als vielmehr Berührungen, die Merimé in meiner Erinnerung wieder lebendig werden lassen. Liebe lebt von Berührungen. Wenn uns der Tastsinn im Vergleich mit den anderen vier Sinnen weniger wichtig erscheint, so vermittelt doch keiner so viel Wohlgefühl. Welch aufregender Weg, Empfindungen mitzuteilen, die sich nicht in Worte fassen lassen. Mitteilungen von Haut zu Haut. Ein Finger, der sich suchend den Körper entlangtastet. Lippen- und Zungenspiele. Geflüsterter Atem auf der nackten Haut. Keiner unserer Sinne birgt so viel Sinnlichkeit wie der Tastsinn: streicheln, küssen berühren, begehrlich oder erfüllt.
Wir entdeckten die schamhafte Intimität unserer Körper, den salzigen Geschmack der Haut. Haut schmeckt an jeder Stelle des Körpers anders.
»Schade, dass wir keine Tiere sind«, sagte Merimé. »Tiere müssen nicht vernünftig sein.«
»Welches Tier wärst du gerne?«
»Ein Delfin. Delfine sind liebevolle Spielgefährten. Sie benehmen sich wie alberne Mädchen. Sie lachen mit den Augen, und ihre Haut ist glatt wie die unsrige. Ich wünschte, wir wären zwei Delfine. Wir würden durch die Wellen gleiten und vor Übermut in die Luft springen. Bis auf den Grund des Meeres würden wir hinabtauchen, um uns dort schwerelos schwebend zu umarmen. Wie lieben
Weitere Kostenlose Bücher