Magna Mater - Roman
sich die Delfine eigentlich?«
»Nicht anders als Mann und Frau.«
»Und wie lieben sich Mann und Frau?«
»Du hast doch auf der Farm gearbeitet. Hast du nie gesehen, wie die Tiere das machen?«
»Soll das etwa heißen, der Mann besteigt die Frau, so wie das die Esel und die Hähne machen? Das hat doch nichts mit Liebe zu tun. Der Hahn verbeißt sich im Kamm der Hennen, und die Stuten zittern vor Angst, wenn der Hengst ihnen Gewalt antut. Da ist keine Spur von Zuneigung.«
»Wenn es nicht lustvoll wäre, würden sie es gewiss nicht tun«, widersprach ich.
»Ja, lustvoll für ihn, aber schmerzvoll für sie. Denn als Zutat zu dem lieblosen Gewaltakt wird ihr dabei ein Keim eingepflanzt, der wie eine Geschwulst im Bauch heranwuchert und am Ende unter Schmerzen herausgepresst werden muss. Viele Frauen starben dabei. So habe ich es in der Schule gelernt. Diese Barbarei wurde mit Recht abgeschafft, weil sie unmenschlich war. Wie aber kann man verbieten wollen, was wir beide füreinander empfinden?«
Ich konnte es ihr nicht erklären, obwohl ich die Ältere war. Aber was hat Liebe mit Alter zu tun? Die Jahre fielen von mir ab wie alte Kleider. Ich hätte das Unheil voraussehen müssen.
Wir waren nicht schamlos, aber eine Art von kindlicher Unbefangenheit zwang uns, der Scham zu trotzen. Wir liebten uns bei Kerzenlicht, im Mondschein und am Strand. Der Sand war noch warm. Merimé streichelte mein Gesicht, und ich bedeckte ihren ganzen Körper mit Küssen. Ein Gewitter war über dem Meer aufgezogen. Schon fielen die ersten Tropfen. Warmer Regen rann über unsere Haut. Der Wellenschlag wurde übertönt vom Rollen des Donners. Blitze beleuchteten unsere Leiber. Ein wilder Wahnsinn hatte uns erfasst. Donnerschläge entrissen uns Schreie, die bei jedem Blitz durch den Anblick unserer Nacktheit lauter wurden. Wir wälzten uns in der Meeresbrandung, die Lust schwemmte uns davon, und gepeitscht vom Gewitterguss, hielt ich Merimés Kopf zwischen meinen Schenkeln, während sie mit beiden Beinen meine Hüften umschlungen hielt.
Plötzlich war da wer. Wir nahmen ihn wahr, bevor wir ihn sahen. Mit angehaltenem Atem verharrten wir reglos in verräterischer Stellung.
Ein Aufschrei. Flüchtende Schritte, verschluckt vom Dunkel der Nacht.
Ich habe nie erfahren, wer uns entdeckt und verraten hat, aber die Folgen waren fürchterlich. Zunächst geschah lange Zeit nichts, so lange, dass wir schon hofften, unsere Angst sei unbegründet gewesen. Doch dann am letzten Tag des darauffolgenden Monats hieß es auf dem regelmäßig stattfindenden Konvent des Ordens, Merimé sei auf die Schulungsinsel Santiago versetzt worden. Sie habe sich unverzüglich dort einzufinden. Der Befehl erfolgte ohne Begründung. Keinen der Anwesenden schien das zu erstaunen. Sie waren offensichtlich eingeweiht. Man sah es ihren Gesichtern an, hart und unbeweglich wie aus Holz geschnitzt. Es war eine Verurteilung. Fragen wurde nicht gestellt. Die Entscheidung war gefallen, endgültig und unerbittlich.
Abschied nehmen ist immer ein Stückchen Tod, so sagt man, aber für uns war es der Weltuntergang, das Ende von allem, ein Todesurteil.
In jener letzten gemeinsamen Nacht tobte ein Unwetter über der Insel. Der Hagel zerhackte die blühenden Beete vor unserem Haus. Das Tosen der Brandungswellen übertönte das Prasseln der Hagelkörner.
Merimé lag weinend in meinen Armen: »Wir müssen uns wehren. Das kannst du doch nicht zulassen.« Sie klammerte sich an mich wie eine Ertrinkende. »Du liebst mich. Du hast mir doch geschworen, dass du mich liebst. Wie kannst du mich da wegschicken wollen? Selbst die Natur empfindet das als schreiendes Unrecht. Hör nur wie der Sturm tobt.«
Ich hielt sie in meinen Armen, so als würde ich sie niemals mehr loslassen, und hatte sie doch schon verloren. Ich belog sie, weil die Wahrheit zu grausam war um sie zu ertragen. Ich liebte sie mehr als mein Leben, und musste sie mir aus dem Herzen reißen. Ich verfluchte den Orden, haderte mit der Vernunft, so wie das früher die Menschen mit ihrem Gott gemacht haben, wenn er sie in ihrem Elend allein gelassen hatte, litt wie ein Tier und wünschte mir den Tod. Seit jener letzten Nacht weiß ich: Für die Vernunft gilt, was für die Sterne gilt. Sie leuchten, aber sie wärmen nicht.
In der Mondfischbucht wurde ihr Gewand gefunden. Sogar den Armreif hatte sie abgestreift und zu den Sandalen gelegt, bevor sie hinausschwamm zu ihren Delphinen. Im Mondlicht habe ich die Bucht nach ihr
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