Magna Mater - Roman
ihm recht. »Kein anderes Material ist in solchen Massen verarbeitet worden. Aber Stahlbeton ist zu plump, um daraus handliche Gebrauchsgegenstände zu formen. So wurden damals Kunststoffe entwickelt. Die waren zwar billig, aber umweltbelastend und krebserregend.«
Baal strich sich das windzerzauste Haar aus der Stirn und sagte: »Ja, alle Produktion der alten Welt beruhte auf Zerstörung. Wir haben dem ein Ende bereitet. Wir arbeiten Hand in Hand mit der Natur.« Dabei berührte er die Reling: »Selbst mein Boot besteht aus natürlichem Korallin.«
»Was besteht nicht daraus?«, meinte Mater Metaxa. Sie verscheuchte die Fliege, die über ihr Knie krabbelte, und sagte:« Die Technik haben wir den Insekten abgeschaut, den Termiten und Spinnen, vor allem jedoch den Korallen. Es gibt keinen besseren Lehrmeister als die Natur.«
Sie sprach mit erhobenem Zeigefinger wie ein Lehrer zu kleinen Kindern. Ich fand das albern und nahm mir vor, niemals so zu werden wie diese Alte.
»Nichts verdeutlicht unseren Sieg über die alte Welt mehr als das Korallin«, fuhr sie mit ihrer Belehrung fort. »Früher mussten die Menschen mit einem riesigen Aufgebot an Techniken die unterschiedlichsten Materialien schmelzen, schweißen, nieten, fräsen, formen und was weiß ich alles anstellen, um ein gebrauchsfertiges Produkt herzustellen. Heutzutage wächst heran, was wir benötigen. Unsere Industrie ist ein Teil der Landwirtschaft.«
»Und das Korallin reift wirklich völlig selbstständig heran?«, unterbrach ich ihren langen Gedankengang.
»Du wirst es ja gleich sehen.«
Im späten Tageslicht glitt unser Boot in das Hafenbecken von Gemora. Musik wehte uns entgegen, Lachen und ferner Gesang. Auf grünem Rasen, beschattet von Zedern und Zypressen, stolzierten Flamingos umher. Ihr zartrotes Gefieder leuchtete wie ein Blumenbeet. Mater Metaxa, die sich auf der Insel gut auskannte, zeigte auf die mit Palmenblättern gedeckten Hallen: »Hier, gleich beim Hafen, wächst der Rohstoff heran. Weiter im Hinterland werden die Formen hergestellt.«
Mich interessierten vor allem die Menschen, die hier lebten. »Wo haben die Blühenden ihre Wohnungen?«, wollte ich wissen.
»Auf der Südseite der Insel.« Sie winkte ein Maultiergespann herbei. Wir kletterten in die offene Kutsche. Sie beklopfte sie mit knöchernem Finger und sagte: »Auch aus gutem Korallin.« Es klang albern und war wohl auch so gemeint.
Die Prinzipalin empfing uns auf der Freitreppe vor der Hauptverwaltung: »Willkommen auf Gemora. Ihr werdet hungrig sein, Schwestern. Für einen Rundgang durch die Produktionsstätten ist es wohl schon zu spät.«
»Nein«, widersprach ich. »Ich möchte die Anlage so schnell wie möglich kennenlernen.« Mater Metaxa wäre wohl lieber der Essenseinladung gefolgt, schloss sich aber meiner Bitte an. Schließlich befanden wir uns auf einer Inspektionsreise.
So sah ich zum ersten Mal in meinem Leben, wie in Meerwasserbecken das Korallin heranwächst. Natürlich sah ich es nicht wirklich wachsen, denn das Heranreifen vollzieht sich nur langsam, wenn auch viel schneller als bei den gewöhnlichen Meereskorallen, die mit ihren winzigen Leibern Riffe so groß wie Gebirgsketten aufbauen. Was im Ozean Jahrhunderte dauert, geht hier in wenigen Monaten vor sich. Die Korallinzellen werden in Formen aus Hartholz eingepflanzt. Dort vermehren sie sich, bis sie die Form ausfüllen, die sie umhüllt. So reift vom Schaukelstuhl bis zum Bootsrumpf alles heran, was wir benötigen, lebendig gewachsen wie Holz, aber passgenau, wie aus Metall gegossen.
»Wir verfügen im Augenblick über mehr als vierhundert Becken«, erklärte die Prinzipalin. In einem dieser Becken erblickte ich Rundformen von gewaltiger Größe. »Was sind das für riesige Eier? Die sind ja so groß, dass in ihnen Menschen ausgebrütet werden könnten.«
»Mit dieser Einschätzung liegst du gar nicht so weit daneben.« Die Prinzipalin lachte. »Das sind Heilgondeln für die Krankenstation.«
Ich erinnere mich noch deshalb so deutlich an dieses Gespräch, weil ich nur wenige Wochen später selbst wie ein Küken in solch einem Ei stecken sollte.
Eine Halle reihte sich an die andere. Während das Korallin in den Becken ungestört heranreifte, herrschte in den Handwerkerhallen reger Betrieb. Hier wurden die neuen Formen angefertigt, alte wurden entschalt, repariert und geölt. Hammerschlag und Sägen mischte sich mit Musik, Gesang und lautem Lachen. Wie hatte unser Bootsmann gesagt: Gemora –
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