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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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er mich nicht mehr los. Ich war … Nein, das konnte nicht sein. Es musste eine andere Erklärung für die beängstigende Veränderung meines Körpers geben, eine Störung der Hormone oder …
    Aber dann schoss mir durch den Kopf, dass meine Monatsblutungen ausgeblieben waren, seit Längerem schon. Wir messen dem keine Bedeutung bei, da fruchtbare und unfruchtbare Tage in unserem Leben keine Rolle spielen. Nachts, wenn ich keinen Schlaf fand, glaubte ich bereits die ersten Bewegungen des Ungeborenen wahrzunehmen. Ich befand mich ganz offensichtlich in einem Zustand, den es nicht gab, nicht geben durfte. Ich war … ich suchte nach dem richtigen Wort … schwanger, so sagte man wohl früher, wenn eine Frau ein Kind in ihrem Leib trug.
    Diese Erkenntnis traf mich wie ein Peitschenschlag. Ich lief in meiner Stube umher wie ein gefangenes Tier. Wenn es wenigstens einen Menschen gegeben hätte, dem ich mich hätte anvertrauen können. Ich habe mich noch niemals so einsam gefühlt wie in jenen Tagen und Nächten. Eine schwangere Ordensfrau – welch unvorstellbarer Gedanke!
    Hatte ich früher nur selten und flüchtig in den Spiegel geschaut, so nahm ich jetzt jede Gelegenheit wahr, mich lange und ausgiebig zu betrachten, so als müsste ich herausfinden, wer ich wirklich war.
    Nachts lag ich grübelnd wach. Ein Mann aus einer anderen Welt, von mir halb tot aus dem Meer gefischt, hatte mich zur Mutter gemacht, als ich bewusstlos neben ihm im Bett lag, um ihn zu wärmen. Wer würde mir solch eine Geschichte glauben, noch wahnwitziger als das Bibelmärchen von der jungfräulichen Geburt im Eselsstall? Ich musste handeln, und zwar schnell, denn die bevorstehende Geburt machte etwas ganz Entsetzliches: Sie rückte unaufhaltsam näher und näher.
    Vier Mondwechsel war es her, dass ich den Fremden zu mir ins Haus geholt hatte. Ich befand mich also im vierten Monat. Aus einem alten Buch der Ordensbücherei erfuhr ich, dass es zur Abtreibung der Leibesfrucht zu spät sei. Rückblickend glaube ich, dass ich trotz der Verzweiflung, die mich ergriffen hatte, auch nie die Kraft gehabt hätte, das zu tun. Stattdessen begann ich davon zu träumen, wie wundervoll es sein müsste, ein Kind zu haben. Schon oft hatte ich in Gedanken mit der Vorstellung gespielt. Wie konnte ich jetzt zerstören, was ich im Geheimen seit Langem begehrte?
    Ich sagte mir immer wieder: »Du steuerst einer Katastrophe entgegen. Niemand verwechselt ungestraft seine Träume mit der Wirklichkeit. Dieses Kind darf nicht sein.«
    Es half nichts. Mein Mutterinstinkt war stärker. Ich glaube, ich war immer mehr Frau als andere Frauen. Meine Liebe zu Merimé, meine Hingabe an den Mann aus dem Meer, so etwas konnte nur mir passieren. Niemand im Orden würde Verständnis dafür aufbringen. Nachts im Traum zeigten sie mit ihren alten, knochigen Fingern auf mich: »Sie ist ein Tier, ein wildes Tier. So benimmt sich kein Mensch, und schon gar nicht eine von uns.«
    Und sie hatten ja recht.
    Allmählich fand ich meine innere Ruhe wieder. Eine Situation wie die meine hatte es noch nie gegeben. Die zu lösende Aufgabe lautete: Wie kann in einer Gesellschaft, in der es keine Geburten gibt, eine Frau ein Kind in die Welt setzen, und vor allem, wie kann sie es aufwachsen lassen, ohne dass es jemand bemerkt?
    Auf den ersten Blick eine ganz und gar unlösbare Aufgabe. Aber seit damals weiß ich, es gibt Urtriebe in der Natur, die sich gegen alle Logik und Vernunft durchsetzen. Dazu gehört der Muttertrieb. Mütter entwickeln Kräfte, die ihre natürlichen Fähigkeiten weit überschreiten. Die Häsin, die sich furchtlos gegen den Habicht zur Wehr setzt, um ihre Jungen zu retten, das Rebhuhn, das die Aufmerksamkeit des Marders auf sich lenkt, um ihn von seinem Gelege wegzulocken, sie handeln alle mit dem gleichen Mut der Verzweiflung. Auch ich war dazu bereit.
    Ich besuchte mehrmals Urutawa. Als Begründung gab ich an, eine Arbeit über pränatale Praktiken zu schreiben. Dabei interessierte mich vor allem der Zeitpunkt, an dem die ausgereiften Föten das Licht der Welt erblicken würden. Wie nicht anders zu erwarten, lag der ziemlich genau neun Monate nach den Lupanarien. Ich stellte mit großer Freude fest, dass sich dieser Termin mit meinem voraussichtlichen Geburtstermin in etwa deckte. Was hätte ich nur gemacht, wenn das nicht so gewesen wäre!
    In meinem weiten Ordensgewand sah man mir meinen Zustand nicht an. Die beiden Schwestern, mit denen ich in der Bibliothek im selben Saal

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