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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Tausendfüßler über seinen nächsten Schritt nachdenken, würde er sich hoffnungslos verheddern. Über das Denken nachdenken ist wie eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt, um sich zu verschlingen.
    Menschen, die nicht lesen können, sind gute Zuhörer. Obwohl sich Geschichten natürlich größerer Beliebtheit erfreuen, kamen die Blühenden in Scharen. Das recht anspruchsvolle Thema schien sie zu interessieren.
    Denken ist nicht an Schrift gebunden, aber es gibt kein Denken ohne Worte. Wortlose Empfindungen nennen wir Gefühle. »Ich kann es nicht in Worte fassen«, sagt der Überglückliche und der Trauernde.
    Säuglinge und Tiere leben in dieser wortlosen Welt der Empfindungen. Wir werden daraus vertrieben durch den Fall ins Denken.
    Bei anderer Gelegenheit sagte ich: Mir ist es lieber, in einer von Geheimnissen umgebenen Welt zu leben, als in einer, die so klein ist, dass mein Verstand sie begreift. Das Leben will gelebt werden.
    Schönheit ist das höchste Privileg, das ein Mensch zu erlangen vermag. Das war schon immer so. Ein junger Armer konnte durch dieses Privileg reich werden. Ein hässlicher Reicher konnte trotz seines Geldes niemals jung und schön werden. Im Gegensatz zu Besitz und Macht kann man Schönheit und Jugend weder kaufen noch stehlen. Aber man muss sie wie alles, was blüht, hegen und pflegen.
    So sprach ich zu den Blühenden, deren Denken wir durch Beschneiden ihrer Köpfe in intuitive Intelligenz verwandelt hatten. Ich fühlte mich wie eine Bienenkönigin, die einzige Gebärende in ihrem Volk. Durch meine Brust war Milch geflossen, um den Alleingeborenen zu stillen. Ein Kind, so einzigartig wie das leuchtende Himmelblau seiner Augen. Wie sehr sehnte ich mich nach einem Menschen, dem ich mich hätte anvertrauen dürfen.
    Ich hatte schwere Schuld auf mich geladen, hatte meinen Orden getäuscht und verraten, Gesetze gebrochen, gelogen und sogar gemordet und empfand weder Scham noch Reue. Die Natur schien über alle Vernunft zu triumphieren. Ich fühlte mich wie eine Eingeweihte, die das Geheimnis des werdenden Lebens am eigenen Leib erfahren hat. Dabei verschwendete ich keinen Gedanken daran, wie ich mein Kind empfangen hatte. Die Sexualität, von uns verteufelt wie der Krieg und die Religion, hatte keinen Anteil an meinem Mutterglück.
    Zum ersten Mal kamen mir Zweifel, ob die Vernunft wirklich so von der Sexualität bedroht wird, wie wir verkünden. Gewiss, die Geburt meines Kindes hat mich dazu verleitet, die unvernünftigsten Dinge zu tun. Aber das alles habe ich nur tun müssen, weil wir den natürlichsten Trieb der Welt unter Strafe gestellt haben.
    Nicht anders verhält es sich mit dem Töten. Ehrfurcht vor dem Leben, lautet unser oberstes Gebot. Wir töten nicht einmal Tiere, so wie es unsere Vorfahren jahrtausendelang getan haben. Und dennoch habe ich ein Kind umgebracht, musste es umbringen, um Leben zu bewahren.
    Aber bewahren nicht alle Lebewesen ihr eigenes Leben dadurch, dass sie fremdes Leben zerstören? Alles, was lebt, muss töten. Das gilt nicht nur für die Raubtiere, sondern auch für uns Menschen, selbst wenn wir keine Tiere mehr essen. Auch Pflanzen sind lebendige Geschöpfe, die wir vertilgen müssen, um zu überleben.
    Ich begann die Welt wahrzunehmen, wie sie wirklich war, fühlte mich wie einer, der mitten in der Nacht aus einem Traum erwacht. Unsere schöne neue Welt war nur ein verlogener Schein. Wie gerecht kann es überhaupt in einer Welt zugehen, in der Kreaturen geboren werden, nur um anderen als Fraß zu dienen?

18. KAPITEL
    I ch weiß noch, welcher Schreck mich durchfuhr, als ich im Spiegel mein erstes graues Haar entdeckte. Wie beneidete ich die Blühenden, die mit vierzig so aussehen wie mit zwölf. Als junge Frau war ich der Meinung, das sei unnatürlich. Aber ist das wirklich so? In einem Schwarm von Fischen oder in einem Ameisenhaufen sehen alle gleich alt aus. Auch bei den Spatzen vor meinem Fenster gibt es keine erkennbaren Altersunterschiede. Darin gleichen sie den Blühenden. Für uns Reife gilt das nicht. Wir verkörpern das Altern schlechthin. Innerhalb des Ordens fällt das nicht so auf, denn wir werden ja alle gemeinsam älter, doch im Vergleich mit den Blühenden ist das so offensichtlich, dass es mich immer wieder in Schrecken versetzt.
    Ich sehe heute so aus, als wäre ich die Mutter meiner Spielkameraden von damals, und die sehen nicht nur so aus, sie sind auch große Kinder geblieben. Nicht, dass sie dumm wären, nein, das sind sie

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