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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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ihren heiligen Büchern findet man keinen Satz über das Leben vor der Geburt. Eine Seele aber, die erst mit dem Körper zu existieren beginnt, kann nicht unsterblich sein. Eine Ewigkeit kann keinen Anfang haben. Denkbar ist unsere Unsterblichkeit nur, wenn es für uns auch ein vorgeburtliches ewiges Dasein gäbe. Und daran haben nicht einmal die Gottesanbeter geglaubt.«
    Wir waren nach Gemora gekommen, um ein paar verwirrten Kindern den rechten Weg zu weisen. Am Ende mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass wir sie gehörig unterschätzt hatten. Es gelang uns nicht, an ihre Vernunft zu appellieren. Sie waren dem Gotteswahn schon mehr verfallen, als wir geahnt hatten.
    Uns wurde berichtet, es gebe da eine Blühende, die wie eine Priesterin verehrt werde. Diese Seherin, wie sie sich nannte, versammle in einer einsamen Bucht viel Volk um sich, um mit Gebet und sogar mit Tieropfern die Mächte des Meeres zu besänftigen. Ungeheure Energie gehe von ihr aus. Wenn sie einen Raum betrete, verstummten die Gespräche der Anwesenden. Sie gehöre zu den Menschen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen, wenn man ihnen jemals begegnen sollte.
    Das Haar hing ihr in wilden Zotteln vom Kopf, und ihre tief liegenden, eng beieinanderstehenden Augen verströmten hypnotische Kraft. Wir hielten sie für gefährlich, nicht nur wegen ihres Aberglaubens, sondern auch und vor allem wegen ihrer aufrührerischen Reden, in denen sie mit flammenden Worten verkündete:
    »Blühen ist besser als Reifsein. Denn Reife ist der Zustand vor der Fäulnis. Kleinsein ist schön. Es vermittelt dir das stolze Gefühl: Ich kann noch wachsen.«
    Sie wurde vor den Großen Rat des Ordens befohlen, wo man sie belehrte: Beten ist nichts anderes als das Verlangen, die Gesetze des Universums zugunsten des Bittstellers aufzuheben. Und das sei ja wohl der Gipfel der Unvernunft.
    Als das nicht fruchtete und dem Orden weitere nächtliche Zusammenkünfte zu Ohren kamen, wurde sie auf die Krankeninsel Karakara gebracht, mit der Begründung, sie sei dem Gotteswahn verfallen, und dabei handle es sich wie bei allen Religionen um eine ansteckende Form des Irreseins, die zwangsläufig zu völkermordenden Epidemien führe.
    Jeder, der davon überzeugt ist, er würde von einem Unsichtbaren beobachtet und geführt, gehört in eine Anstalt, in unserem Fall auf die Krankeninsel.
    Dort soll sie den Kühen gepredigt haben. Es hieß, ihr Geist habe sich verwirrt. Aber ich glaube, so wenig Geist verwirrt sich nicht.
    Zum Schutz der reinen Vernunft beschloss der Orden, Schulungen zu veranstalten. Analphabeten lieben es, wenn man ihnen etwas vorliest. In einer Reihe von Vorträgen sollte den Blühenden leicht verständlich die Dummheit der Gottesanbeter vor Augen geführt werden.
    Ich meldete mich für die erste Lesung und sagte in etwa Folgendes:
    »Unsere Brüder, die Tiere, haben keine Götter. Wenn sie sich eine Gottheit nach ihrem Ebenbild erfinden würden, so wie das die Menschen gemacht haben, so hätte der Gott der Esel große Ohren, der Gott der Käfer acht Beine und der Allmächtige der Elefanten einen Rüssel. Tiere bauen sich keine Kathedralen, erfinden keine Lügengeschichten und keine heiligen Bücher, an die sie glauben und glauben müssen, auch wenn diese den größten Schwachsinn verkünden. Wo dieser Eingang findet, endet alle Vernunft. Damit öffnen wir der alten Barbarei wieder Tür und Tor. Denn der Gott der heiligen Schriften ist ein kriegslüsternes Ungeheuer.«
    Und dann las ich ihnen aus der Bibel vor: »Saul darf von seinem heiligen Krieg gegen die Amalekiter keine Gefangenen mitbringen, keine Frauen, Kinder, Tiere. Alles muss gnadenlos getötet werden. So befiehlt es Jahwe.
    Einem anderen Volk, den Kanaanitern, ergeht es nicht besser. Und Gott sprach: Ich will sie vertilgen. Er teilte das Meer, um darin ganze Armeen ertrinken zu lassen. Er mordete alle Erstgeborenen, unterbrach gar den Lauf der Sonne, damit seine Leute, die Hebräer, genug Zeit fanden, reichlich Feinde zu erschlagen. Er ließ Pest und Eiterbeulen regnen, Blut und Schlangen und Frösche.«
    An dieser Stelle erhoben sich die ersten Blühenden, um angewidert zu gehen. Mein Vortrag hatte seine Aufgabe erfüllt.
    Bei anderer Gelegenheit brachte ich meine Zuhörer zum Lachen, indem ich ihnen vorlas, wie Samson mit dem knöchernen Kinnbacken eines Esels eintausend Mann erschlagen haben soll.
    Wir erzählten ihnen von dem Gott, der seinen Sohn kreuzigen ließ, um sich mit den Menschen zu versöhnen,

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