Magna Mater - Roman
begleitet hatten, verabschiedeten sich an Bord der Boote von uns. Sie umarmten uns schweigend. Was hätten sie auch sagen sollen? Lebwohl oder Auf Wiedersehen?
Arkadia liegt weit außerhalb unserer Welt. Hier leben weder Reife noch Blühende. Das Eiland gehört ausschließlich den Skarabäen. Keiner kehrt von dort zurück, um zu berichten. Niemand weiß, was dort vor sich geht, und die meisten wollen es auch gar nicht wissen. Eine unüberwindliche Wand trennt das Geheimnis aller Geheimnisse von der übrigen Welt.«
Sie wiederholte diesen Satz mehrmals mit so ängstlicher Scheu, als wäre sie aus dem Reich der Toten zurückgekehrt, was sie ja in gewissem Sinne auch war.
Natürlich wollte ich wissen, was ihr dort widerfahren war. Aber sosehr ich mich auch bemühte, sie zum Sprechen zu bewegen, sie versank erneut in Schweigen. Mit angezogenen Knien hockte sie auf ihrem Lager und starrte mit weit geöffneten Augen ins Leere.
Als ich später nach ihr sah, lag sie zusammengerollt wie eine Katze in tiefem Schlaf. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, und ich nahm die Gelegenheit wahr, sie aus der Nähe zu betrachten. Ein schwarz gelockter Mädchenkopf auf dem abgemagerten Leib einer reifen Frau. Die auffälligste Eigenschaft ihres Gesichtes war seine Undurchschaubarkeit, rätselhaft wie alles an dieser Verblühten aus dem Reich der Toten.
Spät in der Nacht berichtete sie von Arkadia in lebhaften Bildern. Dort gebe es Höhlen mit Wänden und Böden aus milchweißem Gestein, so glatt wie polierter Marmor. In Schwimmbecken perlt Quellwasser. Weiche Teppiche und Ruhelager voller Kissen laden zum Liegen ein. Im Schatten der Bäume Hängematten und Schaukeln, lauschige Lauben aus Palmblättern, Liegeplätze von duftendem Heu. Sie sprach mit geschlossenen Augen. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen.
»Hier verbrachten wir die ersten Tage. Es waren schöne Tage. Der Traum endete mit der Ankunft der Männer. Ich weiß nicht, was sie mit ihnen angestellt haben. Das waren nicht mehr die Blühenden, die ich kannte. Widerwärtige Wilde, wie aus dem Menschenzoo entsprungen. Behaart wie die Affen und geil wie Wildschweine. Sie verschlangen uns mit gierigen Blicken. Unsere Brüste schienen es ihnen ganz besonders angetan zu haben. Das Betatschen nahm kein Ende. Am widerwärtigsten waren ihre Lippen, die ständig die unsrigen suchten. Vielen Frauen schien das zu gefallen. Ich fand das ekelhaft.
Die Nacht war erfüllt von Stöhnen und Schreien. Es klang mehr nach Wut als nach Lust, mehr nach Wehtun als nach Liebhaben. Wilde Zuckungen im flackernden Licht der Fackeln. Umklammerungen wie beim Ringkampf. Reiten und geritten werden, neben mir, auf mir, in mir.«
Erst nach längerem Schweigen sprach sie weiter: »Flötenmusik erfüllte den Raum, eine wilde Melodie ohne Anfang und Ende. Pokale wurden gefüllt mit berauschendem Getränk. Durch die Finger troff der Saft, tropfte auf Brüste, Bauch und Schenkel, klebrig wie die Körpersäfte und der Schweiß der Männer, die sich zu mir legten. Igelköpfige Affen mit behaarten Pfoten. Eine Hand mit nur drei Fingern griff nach mir, immer wieder.
Wie von einem mächtigen Meeresstrudel erfasst, riss es mich fort. Von weit her hörte ich meine eigenen Schreie. Tierhafte Brunft, oder war das bereits mein Todesschrei?
Ich erwachte in Erbrochenem. Um mich herum nackte Leiber, erschöpft dahingesunken, von der Wollust überwältigt. Das Lächeln der Befriedigung auf den Lippen. Neben mir lag ein Paar. Sie umschlang ihn mit beiden Beinen. Er hatte sich in ihrem Haar verkrallt. Waren sie bereits tot? Der Männerarm, der mich umfasste, war noch warm. Ich befreite mich aus der Umklammerung und kroch zum Wasserbecken, um mir den Schleim von der Haut zu waschen.
Im Osten kündigte sich der neue Tag an. Die ersten Vogelstimmen erwachten. Das kalte Wasser weckte meine Lebensgeister. Ich fror, das hieß, ich lebte. Ob auch die anderen noch lebten?
Nein, so wollte ich nicht enden. Ich griff mir ein Wolldecke, ein Hemd, ein Paar Sandalen und eilte der aufgehenden Sonne entgegen, egal wohin, nur weg von hier.
Ich lief den ganzen Tag. Am Abend fand ich einen Felsüberhang in einer Bucht, in die sich ein Bach ergoss. In seinem klaren Wasser stillte ich meinen Durst. Nahrung benötigte ich nicht, denn ich war davon überzeugt, dass ich nur noch wenige Stunden zu leben hätte. Schließlich war ich hierhergebracht worden, um zu sterben. Völlig erschöpft, fühlte ich mich dem Ende nahe. Als ich mich, eingerollt in
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