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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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nichts.
    Als ich Karras am nächsten Tag nach der Brutstation fragte, schüttelte er verneinend den Kopf, als wollte er sagen: Es gibt Türen, die darf man nicht öffnen.
    Er sprach zurzeit nur wenig, ging mir aus dem Weg und benahm sich wie jemand, den ein schlechtes Gewissen quält. Dabei quälte mich mein Gewissen.
    Zwei Mondwechsel war es her, dass man mich nach Arkadia geschickt hatte, und ich tappte noch immer im Dunkeln. Die Magna Mater erwartete meinen Bericht.
    Die Brutanlage ging mir nicht aus dem Sinn. Ich ahnte, dort lag der Schlüssel zu dem Geheimnis, das ich erkunden sollte. In der ausgehöhlten Steilwand befand sie sich nicht. Davon war ich inzwischen überzeugt. Wo sonst konnte sie sein? Wohin zogen die Skarabäen auf ihrer nächtlichen Wanderung?
    Als ich sah, dass wieder Fackeln in den Hof getragen wurden, beschloss ich, es herauszufinden. Die Gelegenheit war günstig. Der Himmel hing voller Wolken. Die Nacht würde dunkel genug sein, um unbemerkt die Verfolgung aufnehmen zu können. Der Schein ihrer Fackeln würde mich führen.
    Sie waren noch nicht weit gelaufen, als sich am Ende der Schlucht ein enges Seitental auftat, so schmal, dass man mit ausgebreiteten Armen die steil aufsteigenden Bergwände links und rechts des Weges mit den Fingerspitzen berühren konnte. Dort hinein bewegten sich die Fackeln, hintereinander aufgereiht wie Perlen an einer Kettenschnur. Ich folgte ihnen, bis sie plötzlich verschwanden. Hatte man sie ausgelöscht, oder waren ihre Träger bloß abgebogen?
    Nach einigem Abwarten tastete ich mich weiter und stand vor einem Loch in der Felswand, aus dem mir Feuerschein entgegenschimmerte. Ich vernahm Stimmen, so weit entfernt, dass ich mich nach einigem Zögern in die Höhle hineinwagte, auf Händen und Knien kriechend wie ein Tier. Am Ende tat sich vor mir eine Halle auf. In ihrer Mitte hatten sie die Fackeln zu einem Scheiterhaufen übereinandergeworfen. Die Flammen loderten bis unter die hohe Decke. Die Männer hockten im Kreis um das Feuer wie die Höhlenmenschen der Steinzeit. Ein primitiver Anblick und doch feierlich, ja festlich.
    Estragon hatte sich erhoben. Er warf eine Handvoll Kienspäne in das Feuer und rief: »Gott ist klein.« Die Flammen erhoben sich prasselnd, und die Männer antworteten: »Gott ist klein.«
    Dann sangen sie mit ihren rauen Kehlen ein Lied, dessen Worte ich nicht verstand. Estragon verkündete: »Bruder Bertram wird heute die Andacht halten.«
    Ein hagerer Mensch mit krummem Rücken stand auf. Er strich sich über seinen Stoppelbart und rief: »Lerne im Kleinen das Große zu sehen. Hört, was ich vom Leberegel der Schafe zu berichten habe. Dieser Parasit lebt, wie sein Name verrät, in der Leber der Schafe und wird mit dem Kot ausgeschieden. Er liegt dann auf irgendeiner Wiese und würde wie aller tierischer Mist schnell zu Pflanzendünger zerfallen, wenn die winzigen Parasiten den Kot nicht so raffiniert umfermentieren würden, dass er für eine ganz bestimmte Schneckenart zum Leckerbissen wird. Diese kommt und frisst ihn.
    In der Schnecke produzieren die Schmarotzer einen Reizstoff, der die ganze Schnecke zum Schäumen bringt. Die mikroskopisch kleinen Parasiten schlüpfen in den Schneckenschaum und warten auf eine Ameise, denn Ameisen mögen nichts lieber als diesen Schaum. Die Parasiten werden gefressen und schmarotzen für eine Weile im Darm der naschsüchtigen Ameise.«
    Er legte eine kurze Pause ein, als wollte er den vorangegangenen Worten mehr Gewicht verleihen.
    »An einem bestimmten Tag«, fuhr er endlich fort, »durchstoßen alle gleichzeitig die Darmwand und schlüpfen in die Bauchhöhle ihres Wirtes. Eigentlich müsste die Ameise jetzt mit durchlöchertem Darm sterben, und mit ihr die Eindringlinge. Aber die Leberegel-Parasiten verschließen die Löcher hinter sich mit chirurgenhafter Akribie. Wenn wir in dieser Phase eine Ameise aufschneiden und unter dem Mikroskop betrachten, so finden wir die Parasiten in der Bauchhöhle. Wir erkennen sogar die kunstvoll vernähten Narben in der Darmwand, aber – und nun kommt etwas Ungeheures! – zählt man die Narben und die Parasiten, so hat man immer eine Narbe zu viel, das heißt, ein Parasit fehlt. Er ist spurlos verschwunden.«
    Wieder legte er eine Redepause ein und blickte sich erwartungsvoll um wie ein Magier, der seine Zuhörer mit einem Zauberkunststück überraschen will.
    »Nach langem Nachforschen ergibt sich Folgendes«, verriet er endlich. »Einer der Eroberer, ein einziger

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