Magnolia Haven 01 - Morgendammerung
hatten, offenbar war er ein guter Chef, den alle mochten. Ihr war auch nicht entgangen, dass einige der Frauen an den Maschinen ihm schmachtende Blicke zugeworfen hatten, und sie konnte es verstehen. Jake war ein gutaussehender Mann, mit seinen dunklen Haaren, den strengen Gesichtszügen und der hochgewachsenen, kräftigen Statur wirkte er äußerst attraktiv.
Es war bereits nach zwölf Uhr, als sie wieder im Auto saßen, doch zu Joannas Erstaunen schlug Jake nicht den Weg in Richtung Millington ein, sondern fuhr weiter nach Memphis hinein.
6
»Wohin wollen Sie denn?«, fragte Joanna nach einer Weile zaghaft.
Jake lächelte. »Ich dachte, wir gehen etwas essen, und ich zeige dir ein wenig von der Stadt – warst du schon mal in Memphis?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht. Aber ich habe Ihrer Frau versprochen, dass wir bis zum Mittag wieder zurück sind, damit ich mich um Michael kümmern kann.«
»Meiner Frau?«, wiederholte er verblüfft.
Irritiert schaute sie an. »Ja, Mrs. Prescott.«
Er lachte leise. »Nein, da hast du wohl etwas falsch verstanden. Olivia ist nicht meine Frau, und Michael ist auch nicht mein Sohn, falls du das dachtest – ganz so alt bin ich noch nicht.«
»Oh«, entfuhr es ihr verlegen, »tut mir leid.«
Aus irgendeinem unerklärlichen Grund war sie plötzlich irgendwie erleichtert. Sie wusste nicht warum, aber die Tatsache, dass er nicht mit Olivia verheiratet war, gefiel ihr.
»Ihr Bruder hat sie als seine Schwägerin vorgestellt, deswegen war ich der Meinung …«, fuhr sie fort, doch Jake unterbrach sie.
»Sie war die Frau unseres älteren Bruders, der vor einigen Jahren verstorben ist«, erklärte er, und für einen Moment wirkte er genau so düster wie in den ersten Tagen ihres Aufenthalts.
»Das tut mir sehr leid. Er muss sehr jung gewesen sein. Wie … wie ist es passiert?«
»Er ist in unserem Haus die Treppe heruntergestürzt. Dabei hat er sich eine schwere Hirnverletzung zugezogen, an der er drei Tage später gestorben ist.«
Er schwieg abrupt, und sie spürte, dass ihm dieses Thema unangenehm war, also hakte sie nicht weiter nach.
»Was gibt es in Memphis denn zu sehen?«, fragte sie stattdessen.
»Oh, so einiges«, erwiderte er, und als sie ihn von der Seite anschaute, bemerkte sie, dass er bereits wieder ein wenig lächelte. »Wir fahren mit der Schwebebahn hinüber nach Mud Island. Dort gibt es den River Walk, eine originalgetreue Nachbildung des Mississippi-Deltas sowie ein Museum. Ich dachte mir, das könnte dich vielleicht interessieren – es sei denn, du möchtest lieber Graceland sehen?«
»Graceland«, Joanna lachte, »nein, ich glaube, das brauche ich nicht.«
Sie verbrachten einen entspannten und amüsanten Nachmittag in dem kleinen Vergnügungspark. Nachdem sie etwas gegessen hatten, besichtigten sie das Museum und wateten anschließend barfuß durch die mit Wasser gefüllte Nachbildung des unteren Mississippi. Dabei spritzten sie sich gegenseitig nass und alberten miteinander herum. Ganz nebenbei erfuhr Joanna einiges über die Geschichte des Flusses, und wie immer nahm sie alles wissbegierig in sich auf.
Während all der Jahre in New Orleans hatte sie nie Gelegenheit gehabt, irgendwelche Ausflüge zu machen. Ihre Mutter hatte kein Geld für solche Dinge gehabt, und so war Joanna nie über die nähere Umgebung des »Red Lantern« hinausgekommen, ausgenommen ihren Schulweg sowie sporadische Besuche beim Arzt oder gelegentliche Einkäufe.
Umso mehr genoss sie diesen Nachmittag, was nicht zuletzt auch daran lag, dass Jake offenbar ebenso viel Vergnügen dabei hatte wie sie.
Es war bereits später Abend, als sie sich auf den Heimweg machten, und Joanna war von den ganzen Eindrücken des Tages so müde, dass sie während der Fahrt einnickte.
Als sie auf Magnolia Haven ankamen, stellte Jake den Wagen ab und betrachtete einen Moment Joannas schlafendes Gesicht. Sie wirkte so zart und verletzlich, und spontan streckte er die Hand aus und berührte sanft ihre Wange.
»Joanna«, murmelte er leise.
»Jake«, flüsterte sie schläfrig, ohne die Augen zu öffnen, und ein Lächeln huschte um ihre Mundwinkel.
Abrupt zog er die Hand weg. »Aufwachen, wir sind da«, sagte er schroffer als beabsichtigt.
Langsam kam sie zu sich, richtete sich auf und schaute ihn irritiert an, verwundert über seinen Ton.
»Es tut mir leid, ich bin wohl eingeschlafen.«
»Schon gut, lass uns hineingehen«, brummte er unwirsch, wich dabei jedoch ihrem Blick
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