Magnolia Haven 01 - Morgendammerung
verlassen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie den Tag herumgebracht hatte, alles war an ihr vorbeigerauscht, ohne dass sie wirklich etwas mitbekommen hätte. Der Rest des Seminars, die Busfahrt, die Fahrt von Millington nach Hause – sie konnte sich nur vage daran erinnern. Ihre Gedanken kreisten um Jake, sie vermisste ihn bereits jetzt schmerzlich, und fragte sich, wie sie das in Zukunft aushalten sollte. Doch die Tatsache, dass er sie liebte, dass sie eine Chance haben würden, zusammen zu sein, wenn sie nur eine Weile durchhielten, gab ihr Kraft.
Irgendwann würde sie ihm auch die Wahrheit über ihre Vergangenheit sagen können. Ihr war bewusst, dass sie es nicht besonders geschickt angefangen hatte. Es war kein Wunder, dass er darauf so ablehnend reagiert hatte. Bestimmt würde sich einmal eine passende Gelegenheit bieten, sie musste nur Geduld haben.
Nachdem sie ihre Tasche ausgepackt hatte, war es bereits Zeit fürs Abendessen. Sie hatte keinerlei Lust, Tom und Olivia zu begegnen, und sie hatte auch ein wenig Angst, dass man ihr am Gesicht ablesen könne, was in Nashville geschehen war. Doch es würde auffallen, wenn sie nicht erschiene, also straffte sie ihre Schultern, atmete noch einmal tief durch und ging nach unten.
Wie erwartet begegnete Olivia ihr mit den üblichen, feindseligen Blicken, und Tom musterte sie die ganze Zeit, beobachtete akribisch genau jede ihre Handbewegungen.
»Nun, wie war denn dein Seminar?«, fragte er nach einer Weile, und obwohl er völlig harmlos erschien, glaubte sie doch, einen lauernden Unterton in seiner Stimme zu hören.
»Ob er etwas ahnt?«, schoss es ihr sofort durch den Kopf. »Unsinn, wie sollte er?«, beruhigte sie sich dann gleich wieder. »Jake ist offiziell in Atlanta, also wieso sollte Tom etwas vermuten? Du bist nur nervös, reiß dich zusammen.«
Trotzdem nahm sie sich vor, auf der Hut zu sein.
»Gut«, erwiderte sie daher so gelassen wie möglich. »Ich habe einiges gelernt, und ich denke, das werde ich im Betrieb sehr gut gebrauchen können.«
»Das ist schön«, sagte Tom gedehnt. »Und – hat dir Nashville gefallen?«
»Ich habe nicht viel von der Stadt gesehen, ich war die ganze Zeit im Hotel. Der Kurs war ziemlich anstrengend, da war ich abends zu müde, um auszugehen.«
»Aha«, war seine Antwort, dann schwieg er, und Joanna hoffte, dass das Thema damit erledigt sein würde.
Sie war froh, als das Abendessen endlich vorbei war, und sie sich auf ihr Zimmer zurückziehen konnte.
Müde zog sie sich aus und ließ sich in ihr Bett fallen. Nach ein paar Minuten stand sie wieder auf, nahm das Tuch aus der Kommode, welches Jake ihr in Cape Charles gekauft hatte, und kuschelte sich damit in ihr Kissen.
»Jake«, dachte sie sehnsüchtig, »du fehlst mir.«
22
Endlich war es Freitag, und mit gemischten Gefühlen ging Joanna nach unten zum Abendessen. So sehr sie sich darauf freute, Jake zu sehen, so viel Angst hatte sie gleichzeitig, sich durch irgendetwas zu verraten.
Als sie das Esszimmer betrat, saßen Jake und Olivia bereits am Tisch, und mit gesenktem Kopf ließ sie sich auf ihrem Platz nieder. Wenig später erschien auch Tom und das Essen wurde aufgetragen. Wie immer verlief die Mahlzeit schweigend, und während Joanna sich mühsam ein paar Bissen herunterzwängte, konnte sie an nichts anderes denken, als dass Jake dort keinen Meter von ihr entfernt saß. Manchmal glaubte sie, seinen Blick zu spüren, doch sie wagte es nicht, aufzusehen.
»Wie sind deine Geschäfte in Atlanta verlaufen, Jake?«, fragte Tom nach einer Weile beiläufig, und Joanna hielt den Atem an.
»Gut«, erklärte Jake ruhig. »Sieht so aus, als würden wir mit Farlow-Industries ins Geschäft kommen, wir sind uns nur über den Preis nicht ganz einig geworden. Es kann sein, dass ich in absehbarer Zeit noch einmal hinfliegen muss.«
»Na das hört sich doch sehr positiv an«, nickte Tom. »Und sonst? Hattest du einen schönen Aufenthalt?«
»Ja, es war okay.«
»Übrigens, wie du ja sicher weißt, hatte Olivia am Dienstag Geburtstag, und wir geben nächsten Samstag ein kleines Fest. Nichts Aufwändiges, etwa dreißig Gäste, ein bisschen Essen und Trinken und eine Kapelle für den Tanz. – Ich hoffe, es ist dir recht.«
»Sicher«, gab Jake einsilbig zurück.
»Gut.« Tom wandte sich an Joanna. »Du wirst natürlich auch dabei sein.«
»Ja, danke«, murmelte sie unbehaglich.
Einen ganzen Abend in Jakes Nähe zu sein, ihn zu sehen, ohne mit ihm zu sprechen oder gar mit ihm
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