Magnolia Steel – Hexennebel
und tatsächlich: Im Geäst über ihren Köpfen knackste es bedrohlich und gleich darauf fiel der Besen wie ein reifer Tannenzapfen zu Boden.
Magnolia grinste. »Etwas ungeschickt, der Gute.«
Ihre Freundin verdrehte die Augen und stieg auf. »Ihm ist der Frühling in die Borsten gefahren. Stell dir vor, gestern hat er sogar mit einer Mistgabel geflirtet.«
Magnolia stieg wieder auf ihr Rad. »Bis morgen. Und melde dich, wenn du etwas von den Elfen hörst.«
»Mach ich«, versprach Jörna. Dann rief sie: »Nach oben hinaus und nirgends an!«, und Baldur stieg krachend durch das dicke Geäst der Buche. Magnolia hörte ihre Freundin unschön fluchen und setzte ihren Weg lachend fort.
Die Strahlen der Abendsonne ließen die moosbärtigen Bäume am Rand des Weges wie verwunschene Riesen aussehen. Geschickt wich Magnolia den dicken Baumwurzeln aus, die wie Pythonschlangen ihren Weg kreuzten, und hielt dabei nach den Wassermädchen Ausschau, die nebenan im Wildbach lebten. Heute Abend konnte sie jedoch keines dieser zierlichen Wesen entdecken. Magnolia gab Gas. Sie wollte den Kreuzweg möglichst noch vor Sonnenuntergang passieren. Es war der einzige Ort im Wald, der ihr nicht geheuer war. Zu genau hatte sie Jeppes Schauergeschichten von den Gehängten im Ohr, die man dort aufgeknüpft hatte und die nun als Wiedergänger keine Ruhe fanden.
»Abergläubische Nuss«, murmelte sie, nachdem sie die unheimliche Kreuzung sicher hinter sich gelassen hatte, und verlangsamte erleichtert das Tempo.
Da zischte etwas an ihrem Ohr vorbei und blieb im Baum direkt vor ihr stecken. Magnolia zog den Kopf ein und bremste so scharf, dass sie fast hinfiel. Wachsam sah sie sich nach allen Seiten um. Sie lauschte. Nichts! Glücklicherweise nichts. Dann erkannte sie, was dort vor ihr im Baumstamm steckte, und ihr dummes Herz schwirrte wie die Flügel eines Kolibris. Das, was eben an ihrem Ohr vorbeigezischt war, war ein Pfeil. Sie stieg vom Rad und zog ihn mit einem Ruck aus dem Holz. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Nur Elfen benutzten Pfeile aus Eibenholz.
»Zeig dich, Elf!«, verlangte sie deshalb mit fester Stimme, während sie den Pfeil in den Händen hielt. »Oder soll ich Zahnstocher aus dem Zauberholz machen?«
Eiben-Pfeile waren wertvoll, und ihre Besitzer achteten sehr darauf, sie wenn möglich wieder einzusammeln. Ihre Rechnung ging auf. Etwas bewegte sich im Unterholz.
»Du bist ziemlich frech für dein Alter!«, spottete eine Stimme, die eindeutig Leander gehörte. Im Blattwerk der Sträucher war er jedoch nirgendwo zu entdecken.
Magnolia war in heller Aufregung. Natürlich hatte sie gehofft, dass der Pfeil ihm gehörte. Aber sollte er nicht erst in zwei Tagen ankommen?
Da trat der Elf zu ihr auf den Weg, und Magnolia bekam augenblicklich weiche Knie. Seine Arme und sein Gesicht zeigten die fleckige Tarnung, die die Körper der Elfen im Wald überzog. Trotzdem sah er so umwerfend aus, dass sie beeindruckt nach Luft schnappte. Nicht umsonst fielen die Mädchen reihenweise in Ohnmacht, wenn er auch nur an ihnen vorbeiging.
Hastig wischte sich Magnolia über den Mund. Wie furchtbar, wenn irgendwo noch Schokoladeneis kleben würde.
»Kein Eis, alles gut!«, lachte Leander.
Sie wurde rot wie eine Strauchtomate. Er hatte ihre Gedanken gelesen und die davor wahrscheinlich auch. Auf der Stelle blockierte sie alles, was sie von nun an dachte.
Leander lächelte spöttisch. »Hi!«, sagte er.
»Hi«, antwortete Magnolia und überlegte, ob sie ihm auf der Stelle um den Hals fallen sollte oder ob es besser wäre, noch etwas damit zu warten.
Leander nahm ihr die Entscheidung ab. Er kam auf sie zu und nahm sie ganz einfach in die Arme. »Ich habe dich vermisst«, murmelte er.
Magnolia schluckte und wollte gerade fragen, weshalb er sich dann so selten gemeldet hätte, als er sie auch schon wieder losließ. Mit dem Kopf deutete er auf ihr Rad. »Bist du auf dem Weg ins Regenfass?« Magnolia nickte.
»Prima, genau meine Richtung. Hast du etwas dagegen, mich als Anhalter mitzunehmen?«
Jetzt musste Magnolia lachen, und die Nervosität fiel von ihr ab. »Allerdings«, entgegnete sie. »Aber ich wäre bereit, das Rad zu schieben, damit du nicht nebenher traben musst.«
»Sehr charmant«, erwiderte Leander und war sofort an ihrer Seite.
»Du hast sicher eine Menge erlebt, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben«, begann Magnolia das Gespräch und ärgerte sich sofort, weil ihre Stimme nicht so unbeschwert
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