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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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lässt geduldig die Untersuchung über sich
     ergehen.
    »Sonst alles gut, Frau Hennemann?«
    »Ach, Herr Doktor, hören Sie, das Mädchen …« Sie macht eine Kopfbewegung zur Tür.
    »Jaja, ich weiß.« Dr. Lobe lächelt verschwörerisch und räumt sein Stethoskop in die Tasche zurück. »Nettes Mädchen. Eine Russin,
     oder? Von mir erfährt keiner was, Frau Hennemann, versprochen. Das machen heute alle so, glauben Sie mir, auf legalem Weg
     lässt sich das doch gar nicht mehr bezahlen. Machen Sie sich nicht so viele Sorgen.« Er räuspert sich, wird ernster, legt
     seine Hand auf ihre Fessel. »Sie sollten sich lieber über Ihre Muskulatur Sorgen machen. Drücken Sie bitte mal mit dem Bein
     gegen meine Hand.«
    Wilhelmine versucht, den Fuß anzuheben, doch sie liegt da wie eine Marionette, der man den Faden abgeschnitten hat. Erst als
     der Doktor ihr Knie beugt und das Bein anstellt, bekommt sie es nach oben, einen Moment nur, dann beginnt es zu zittern. Wilhelmine
     presst die Lippen aufeinander, die Anstrengung überwältigt sie wie ein Schmerz. Aufatmend lässt sie das Bein sinken.
    Dr. Lobe schüttelt den Kopf. »Sie müssen Ihre Übungenmachen, Frau Hennemann, wenn Sie wieder auf die Füße kommen wollen. Kommt die Krankengymnastin nicht mehr zu Ihnen?«
    »Doch, doch.« Wilhelmine nickt zaghaft, muss an den Sturz aus dem Bett denken. »Bitte, Herr Doktor, wissen Sie denn niemand
     anderen für mich?«
    »Aber die Frau Weichbrodt ist doch tüchtig, die macht das ganz prima …«
    »Ich meine das Mädchen, Herr Doktor, da unten die.«
    »Aber Frau Hennemann, das kriegt keiner mit.« Doktor Lobe reicht Wilhelmine die Hand und greift nach seiner Tasche. »Sie wissen
     doch, wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.«
    Wilhelmine starrt ihm nach, erwidert stumm seinen Gruß, sinkt ins Kissen zurück. Schuld wartet nicht auf Kläger, und Sühne
     braucht keinen Richter, denkt sie, und was weißt denn du schon davon?

»Trinkt sie ausreichend? Ich habe den Eindruck, dass sie nicht genügend Flüssigkeit zu sich nimmt.« Der Arzt müht sich wie
     ein Kind, seinen Mantel zu schließen, die Knöpfe scheinen nicht durch die Knopflöcher zu passen. Lisa unterdrückt den Impuls,
     ihm zur Hand zu gehen, hebt die Schultern, kann den Blick nicht von den dicken schwarzen Knöpfen nehmen, vielleicht sind sie
     nachträglich angenäht worden.
    »Muss ich noch fragen wegen Digitalis, lasse ich weg am Sonntag, o. k.?«
    Doktor Lobe nickt. »Das können Sie machen, ja. Einmaldie Woche. Ich glaube, bisher haben sie es auch immer am Sonntag gemacht.« Als er die Haustür öffnet, wehen ein paar welke
     Blätter in die Diele.
     
    Jelisaweta wartet, bis er verschwunden ist, zieht Jacke und Stiefel an und greift nach dem Einkaufskorb. Den Weg zum Supermarkt
     dehnt sie aus, betrachtet die Schaufenster und stellt fest, dass es sogar ein Kino gibt in dem kleinen Frankfurter Vorort.
     Acht Euro aber ist eindeutig zu viel, trotz des zusätzlichen Scheins, den sie sich redlich verdient hat. Mama wartet auf Geld,
     und je eher Jelisaweta etwas schickt, desto besser. Obwohl – Mama ahnt nichts von dem Hunderter extra … Jelisaweta kommt sich
     vor wie ein Dieb, während sie, nur ein paar Schritte lang, daran denkt, wie es wäre, das ganze Geld, die ganzen siebenhundert
     im Monat, für sich zu behalten. Bei freier Unterkunft ließe sich damit durchaus etwas anfangen: ein paar schicke Klamotten
     und Schminke, Lippenstifte, für deren Farbe sie niemand zur Rechenschaft zöge, ins Kino, wann immer ihr danach wäre, in eine
     Diskothek. Und irgendwann vielleicht ein eigenes Zimmer oder gar eine kleine Wohnung … nur für sie allein, mit einem Schlüssel
     zum Absperren; ein eigenes Leben; neu wie frisch gefallener Schnee. Jelisaweta schiebt sich eine Haarsträhne unter die Wollmütze
     und seufzt eine Dampfwolke in die Winterkälte.
    Arbeit gibt es hier genug, dieses ganze verdammte Land ist voll von alten Weibern, um die sich keiner kümmern will. Sie spürt,
     wie der Gedanke sie einnimmt, ihr für eine Weile das Gefühl unerhörter Leichtigkeit gibt. Sie spinnt ihn fort. Ein Studentenvisum.
     Germanistik, denSchein von der Darmstädter Sprachschule hat sie ja schon in der Tasche. Was, wenn sie es einfach täte? Eine Wand zöge zwischen
     sich und dem Leben daheim? Das Bild einer sich schließenden Schleuse drängt sich ihr auf, sie kann die unbeherrschbare Wucht
     des gebremsten Wassers spüren, ahnt, dass es sie umzuwerfen

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