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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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Fritzi Schmidt. Die liegt
     schon seit letztem Frühjahr dort. In einem Zimmer mit einer anderen Frau, die den ganzen Tag stöhnt und nachts so laut schnarcht,
     dass selbst eine Halbtaube wie Frau Schmidt um den Schlaf gebracht wird. Sie liegen in ihren Betten wie die Hennen im Käfig,
     denkt Wilhelmine, und warten darauf, dass sie abberufen werden. Bis dahin kommt allmorgendlich ein junger Mann zum Waschen.
     Wilhelmine erinnert noch gut den Blick von Fritzi Schmidt, als sie flüsternd davon erzählte. »Überall waschen die mich, Frau
     Hennemann, ich sag es Ihnen. Ü-ber-all.«
    »Ich bleibe hier.« Hat sie denn eine Wahl? Sie beginnt zu ahnen, dass dieses Mädchen die letzte, unausweichliche Strafe ist,
     und fragt sich, banger denn je, wann es endlich genug sein wird.

Als Frau Hübners energische Schritte die Treppe herabhallen, steigt Beklemmung in Jelisaweta auf, ein sinnlosesSchuldbewusstsein. Sie greift das letzte Männerhemd aus dem Wäschekorb und strafft den Rücken.
    Was machst du dir Gedanken, schilt sie sich, das ist doch nicht die erste Alte, die schlagartig zur Furie wird, ohne dass
     ein Mensch verstünde, warum. Das hat nichts, absolut nichts mit dir zu tun. Aber dieses dumpfe, nicht greifbare Gefühl straft
     sie Lügen. Seit einer Stunde sträubt sie sich gegen jeden Gedanken an die keifende Alte, und trotzdem will ihr die Frage nach
     dem Warum nicht aus dem Kopf. Dabei sind fliegende Wassergläser vergleichsweise harmlos, im Krankenhaus daheim hat eine über
     Achtzigjährige vollkommen grundlos versucht, sie mit dem Besteckmesser zu attackieren, als Jelisaweta ihr den Rücken zuwandte.
    So gesehen ist es mit der Alten dort oben erträglich. Mit dem Unterschied, dass es aus diesem Haus kein Entkommen gibt, niemanden,
     der sie ablöst, keine nächste Schicht, der man die alte Frau überlassen könnte, um nach Hause zu gehen.
    Frau Hübner tritt ins Wohnzimmer und stemmt die Hände in die Seiten. »Was ist los, Lisa, was haben Sie mit dem Tantchen gemacht?«
    »Ich? Was ich gemacht habe?« Jelisaweta spürt, dass zu viel Energie in ihrer Stimme liegt. Warum lässt sie sich von diesem
     Vorfall so verunsichern? Am liebsten würde sie mit dem Fuß aufstampfen vor Wut über sich selbst. Stattdessen verengen sich
     nur ihre Augen. »Ich habe zum Essen gekocht, sie schlafen lassen, in Toilette machen lassen und ihr Bett geluftet. Dann hat
     sie mich angeschrien.«
    »Angeschrien? So ein Blödsinn, unser Minchen hat noch nie jemanden angeschrien. Dazu ist sie überhauptnicht imstande.« Frau Hübner verharrt einen Moment, ihr Gesicht wird seltsam steif. »Sie sagt, Sie hätten ihren Schmuck gestohlen.«
    Jelisaweta erstarrt. Wie ein Fußtritt treffen sie die Worte. »Was bitte?« Mehr kann sie nicht sagen, es ist, als fehle ihr
     mit einem Mal die Sprache. Nur ein leichtes Kopfschütteln bringt sie zustande, und dann wird ihr plötzlich heiß. Wie soll
     sie diesen Vorwurf von sich weisen? »Habe ich niemals gestohlen im Leben. Können Sie in meine ganze Sachen suchen, bitteschön.«
    »Das habe ich ja auch gar nicht behauptet, Lisa.« Frau Hübners Blick wird fahrig. »Sie sind nicht die Erste, der sie so etwas
     unterstellt. Ich weiß auch nicht … Aber irgendetwas muss doch passiert sein, dass sie auf einmal so ein Theater macht.«
    Jelisaweta zögert, das Telefonat zu erwähnen, selbst wenn das Gespräch auf Maschas Rechnung gegangen ist. Sie hebt die Schultern
     und wendet sich dem Hemdkragen zu.
    »Haben Sie Minchen erzählt, dass Sie aus Russland kommen?«
    Prompt fährt Jelisaweta herum. »Ich habe Russisch gesprochen, am Telefon«, gibt sie patzig zurück. »Ist das verboten?«
    »Nein, natürlich nicht.« Frau Hübner wird leiser. »Aber das scheint sie zu irritieren. Vermutlich bringt sie etwas durcheinander,
     das kommt schon mal vor in dem Alter.«
    Jelisaweta knöpft das Hemd auf einen Bügel und zieht den Stecker des Bügeleisens aus der Dose. »Sie hat mich geschlagen und
     mit Glas nach mir geworfen. Undjetzt sagt sie, dass ich diebe? Das macht sie, weil ich russisch bin?« Jelisaweta mustert Frau Hübner aus schmalen Augen.
     »Habe ich nicht nötig. Ich kann schon zurück nach Russland fahren …«
    Frau Hübners Lider zucken, eine ganze Weile ist nur ihr Atem zu hören. Dann, als habe sie den Sender gewechselt, wird ihre
     Stimme zutraulich: »Ich verstehe Sie ja, Lisa, das ist bestimmt nicht angenehm für Sie. Aber Sie werden schon mit ihr zurechtkommen,
     die nächsten

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