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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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suchte, und wickelt das Wolltuch enger um ihren Hals. Sie sieht
     Mama vor sich, Mama, wie sie in der Küche steht und raucht …
     
    »Sechshundert Euro?« Mama sagt lange nichts. Sie hält die Hand vor den Mund, nur ihre Augen sind groß geworden und glänzen.
     »Das sind zwanzigtausend Rubel!« Nach einer Weile lässt sie die Hand sinken, ihr ganzer Körper scheint in sich zusammenzufallen.
     »Das kannst du nicht machen, Lisotschka.«
    »Wieso denn nicht, das ist doch leicht verdientes Geld?« Jelisaweta klatscht einen Löffel voll Füllung auf den Teig und drückt
     ihn zusammen.
    »Jelisaweta! Ich kann mir wohl denken, was für eine Arbeit das ist …«
    »Mama, hör auf! Ich mache dort nichts anderes als hier. Bloß, dass es nur eine einzige alte Frau ist statt einer ganzen Station
     voller Weiber.«
    »Warum sollten sie dir dafür so viel Geld bezahlen?«
    »Meine Güte, Mama, wo lebst du eigentlich? Das ist nicht viel in Deutschland, begreif das endlich. Eine Krankenschwester dort
     kriegt das Dreifache.« Jelisaweta stäubt ein wenig Mehl über die fertigen Pelmeni, damit sie beim Einfrieren nicht aneinanderkleben,
     und schichtet sie in die Gefrierdose. Sie bezweifelt, dass Mama sieüberhaupt anrühren wird. Wahrscheinlich wird sie geschnittenes Brot und Wurst aus der Dose essen, jeden Tag, immer wieder,
     und die halbleeren Dosen auf dem Tisch stehenlassen, eine neben der anderen, bis der Schimmel herauswächst.
    »Aber trotzdem! Muss es denn unbedingt Deutschland sein? Du weißt genau, dass Babka das nicht erlauben …«
    »Mama! Babka ist seit acht Jahren tot! Es ist mir egal, was sie erlaubt hätte.«
    »Hör auf, so zu reden, Jelisaweta.« Mama greift nach dem braunkarierten Küchenhandtuch, schnäuzt sich hinein.
    »Bah, das ist widerlich, nimm dir gefälligst ein Taschentuch!«
    Ohne darauf einzugehen, knäult Mama das Tuch zusammen und wischt sich die Nase ab. »Aber du kannst nicht so lange von der
     Arbeit fortbleiben. Niemand wirft seine Stelle so einfach weg.«
    Ich werfe nichts weg, denkt Jelisaweta, denkt an Sergej, sucht nach Wehmut, aber die fühlt sich an, als hätte sie jemand in
     eine Klarsichttüte gepackt. »Der Stationsarzt genehmigt mir unbezahlten Urlaub. So einfach.«
    »Aber …«
    Jelisaweta sieht die Qual, mit der Mama um Argumente ringt, diese Frau mit der seltsam ledrigen Haut, den mausgrauen Stoppelhaaren,
     diesem Gesicht, nicht Mann und nicht Frau. Für einen Moment ist sie versucht, ihren Arm auszustrecken, der Mutter die Handfläche
     an die Wange zu legen, aber die Hand lässt sich nicht inderen Richtung bewegen. »Hör auf, mir immer alles schwerzumachen, Mama. Was willst du eigentlich von mir?«
    Dass du hierbleibst, sagt Mamas Blick, dieser versunkene Hundeblick mit den Hautlappen, die unter den Lidern hängen wie die
     Lefzen einer Deutschen Dogge. Doch Mama weiß wohl, dass es undenkbar ist, etwas Derartiges auszusprechen. So undenkbar wie
     nutzlos. »Geh, von mir aus, auch wenn ich nicht verstehe, was du immer bei diesen Scheißdeutschen willst. Aber bitte, wenn
     es unbedingt sein muss …« Sie knickt ihre Zigarettenleiche in den Ascher. »Dann hol dir dort aber gefälligst, was dir zusteht.
     Sie sind uns was schuldig, vergiss das nicht.«

Das Haus schweigt. Nicht einmal Tee hat sie ihr gebracht. Es muss längst Mittag sein, Wilhelmine weiß es nicht, der Wecker
     schaut wieder mit dem Gesicht zur Wand. Endlich hört sie die Haustüre, drückt sofort die Klingel, immer wieder, bis die Schritte
     auf der Treppe lauter werden.
    »Soll ich etwa verhungern?«
    »Choroscho, starucha.«
    Wilhelmine schnaubt. Sie kann sich schon denken, was das heißt, auch wenn die Russin so unschuldig tut. »Putz mir die Brille
     und bring mir die Fernsehillustrierte, aber gleich.« Sie wird es ihr schon zeigen, dieser Person.
    Die andere schaut sie durchdringend an, nimmt ihr dann die Brille ab, spuckt darauf, ohne den Blick vonWilhelmine zu nehmen, und reibt mit einem Papiertuch über die Gläser. Kommentarlos lässt sie die Brille auf die Bettdecke
     fallen.
    Etwas steigt in Wilhelmine auf, will heraus, sie sucht nach Schimpfworten, doch es fallen ihr keine ein, was nicht benutzt
     wird, rostet ein, und der Zorn bleibt kalt.
    Das Mädchen bringt ihr einen Teller, graugelbe Klumpen in hartgekochten Eiweißhälften. »Was soll das sein?« Angeekelt verzieht
     Wilhelmine das Gesicht, presst sich die Hand vor die Nase.
    »Russische Eier«, antwortet das Weib, grinst und ist schon

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