Magnus Jonson 01 - Fluch
Straßenabschnitt zwanzig Meter über dem Fluss. Magnus parkte daneben und schaute aufs Nummernschild. Tatsächlich, der Wagen von Pastor Hákon.
Er stellte den Motor ab und stieg aus dem Auto.
Magnus sog die feuchte Luft durch die Nase ein. Nach dem Wimmern seines Wagenmotors und dem Prasseln der Steinchen und Felsbröckchen gegen das Fahrgestell war es jetzt still, dunstig und ruhig. Nur ein dunkles Tosen war zu hören, das Geräusch des in der Tiefe brausenden Wassers.
Irgendwo im Nebel quakte eine Ente. Sonderbar, in dieser Landschaft ein Lebewesen zu hören.
Magnus ging zum Suzuki hinüber. Leer. Er probierte den Tür griff . Unverschlossen. Kein Schlüssel in der Zündung.
Er schaute sich um. Die Sicht betrug nur knapp hundert Meter. Hákon war nirgends zu entdecken. Nebel wand sich um die Spitzen verdrehter Lavagebilde rund um ihn herum, seltsame Formen, groteske Figuren aus Vulkangestein. Unter Magnus’ Füßen waren schwarzer Kies und Obsidiansplitter, tief in der Erde zu schwarzem Glas geschmolzenes Gestein, das bei einem Ausbruch hinausgeschleudert worden war.
Vielleicht hatte Hákon den Wagen hier abgestellt, um zu Fuß nach Stöng zu gehen? Das war eine Möglichkeit, auch wenn Magnus den Weg nicht weit genug einsehen konnte, um beurteilen zu können, wie wahrscheinlich das war. Aber Hákon war Isländer und fuhr einen Geländewagen. Er würde nicht so schnell aufgeben.
Der Mann war verrückt, das war Magnus klar. Es konnte sein, dass er sich in dieser Einöde zu einer langen Wanderung aufgemacht hatte. Vielleicht zu der Höhle bei Álfabrekka? Zur Hekla? Er könnte tagelang unterwegs sein.
Magnus suchte nach Fußabdrücken neben dem Suzuki. Er fand einige, doch sie waren undeutlich. Er zog immer weitere Kreise um das Fahrzeug, aber der Boden war zu hart, um ihm zu verraten, welche Richtung Hákon genommen haben mochte. Dann entdeckte Magnus etwas Interessantes.
Reifenspuren. Rund zehn Meter vom Suzuki entfernt an einer Stelle, wo der Boden weich war. Hier hatte ein anderes Auto gestanden. Bloß wann?
Magnus hatte keine Ahnung, wann es an diesem Ort das letzte Mal geregnet hatte. Als er mit Ingileif am Vortag nach Álfabrekka gefahren war, hatten sie im Þjórsárdalur wunderschönes Wetter gehabt. Möglich, dass es seither nicht geregnet hatte. Es konnte aber auch noch vor zwanzig Minuten einen Schauer gegeben haben.
Er überlegte, ob er nach Stöng weiterfahren sollte. In Gedanken rief er sich den verlassenen Hof aus seiner Kindheit in Erinnerung. Er lag inmitten eines grünen Fleckens an einem Flüsschen. Doch zuerst musste Magnus Baldur melden, was er gesehen hatte.
Er holte sein Handy hervor. Kein Empfang – nicht sehr überraschend. Und der Wagen hatte keinen Polizeifunk.
Er beschloss, zurück in Richtung Hauptstraße zu fahren, bis er Empfang hatte und telefonieren konnte.
Nach zwei Kilometern durchrüttelnder Fahrt klingelte sein Telefon, das neben ihm auf dem Sitz lang.
Magnus hielt an und nahm es hoch. Mit nur einer Hand am Lenkrad konnte er auf dieser Straße nicht fahren.
»Hi, Magnus, hier ist Ingileif.«
»Hallo«, sagte Magnus argwöhnisch, aber froh über ihren Anruf. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja, mir geht’s gut.«
»Ich hab heute Morgen im Radio gehört, dass es eine Schießerei gegeben hat. Ein Polizeibeamter sei im Krankenhaus. Ein Amerikaner wurde verhaftet. Ich dachte, einer von den beiden wärst du.«
»Ja, das war, direkt nachdem ich gestern bei dir war. Auf meinen Kollegen Árni wurde geschossen. Ich habe mir den Täter geschnappt.«
»Und der war hinter dir her?«
»Der war hinter mir her.«
Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann sagte Ingileif: »Ich war gerade bei Erna, Tómas’ Mutter. Sie wohnt in Hella.«
»Aha?«
»Sie ist überzeugt, dass Tómas meinen Vater nicht umgebrachthat. Er könne es gar nicht gewesen sein, weil er an dem Wochen ende mit dem Kirchenchor in Reykjavík war und in der Hallgrímskirkja sang.«
»Behauptet sie wenigstens. Sie ist seine Mutter, schon vergessen?«
»Aber das kann man doch nachprüfen, oder? Auch wenn es siebzehn Jahre her ist?«
»Ja, kann man«, gab Magnus zu. Ingileif hatte recht. Als Lüge wäre das sehr ungewöhnlich. »Was hat sie über Hákon gesagt?« »Sie meint, er hätte meinen Vater auch nicht umgebracht. Aber dafür hatte sie keinen Beweis.«
»Ich denke, das können wir ruhigen Gewissens ignorieren«, meinte Magnus.
»Kann sein«, sagte Ingileif. »Aber sie klang sehr überzeugt. Außerdem
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