Magnus Jonson 01 - Fluch
»Über Sagas. Agnar war ein Fachmann, und ich hab mich schon immer dafür interessiert. Das ist einer der Gründe, warum ich nach Island gefahren bin.« »Sagas!«, rief Magnus erstaunt. »Das glaub ich ja nicht!«
Jubb zuckte mit seinen breiten Schultern und verschränkte die Arme über dem Bauch. »Sie haben gefragt.«
Magnus hielt inne, schätzte den Mann ab. »Okay, tut mir leid. Welche gefällt Ihnen am besten?«
»Die Völsunga-Saga.«
Magnus hob die Augenbrauen. »Das ist eine ungewöhnliche Wahl.« Die beliebtesten Sagas handelten von den Wikinger-Siedlernim Island des zehnten Jahrhunderts, die Völsunga-Saga spielte in einer deutlich früheren Zeit. Obwohl im Island des dreizehnten Jahrhunderts verfasst, erzählte dieser Mythos von einem alten germanischen Königsgeschlecht – den Wolsungen, aus denen die Burgunder hervorgingen; unter anderem handelte die Saga von Attila, dem Hunnen. Sie gehörte nicht zu Magnus’ Lieblingslektüre, aber er hatte sie ein paarmal gelesen.
»Gut. Wie heißt denn der Zwerg, der sein Gold Odin und Loki geben muss?«, fragte er.
Jubb grinste. »Andwari.«
»Und wie heißt Sigurds Schwert?«
»Gram. Und sein Pferd heißt Grani.«
Jubb kannte sich aus. Er mochte als Trucker arbeiten, aber er war ein belesener Mensch. Nicht zu unterschätzen. »Ich mag die Sagas«, sagte Magnus lächelnd. »Mein Vater hat sie mir immer vorgelesen. Aber er war schließlich Isländer. Wie sind Sie darauf gestoßen?«
»Durch meinen Großvater«, entgegnete Jubb. »Er hat sie an der Universität studiert. Als ich klein war, erzählte er mir die Geschichten. Ich war total verrückt danach. Dann fand ich einige davon auf Kassette und spielte sie auf meinen Fahrten ab. Mach ich immer noch.«
»Auf Englisch.«
»Logisch.«
»Auf Isländisch sind sie besser.«
»Das meinte Agnar auch. Glaub ich ihm gern. Aber für mich ist es zu spät, noch eine andere Sprache zu lernen.« Jubb überlegte. »Es tut mir leid, dass er tot ist. War ein interessanter Typ.«
»Haben Sie ihn getötet?« Diese Frage hatte Magnus im Laufe seines Berufslebens schon allen möglichen Menschen gestellt. Er erwartete keine ehrliche Antwort, doch oft half ihm die von der Frage provozierte Reaktion weiter.
»Nein«, sagte Jubb. »Natürlich nicht, Mann!«
Magnus belauerte Steve Jubb. Sein Leugnen war überzeugend, aber dennoch ... Der Engländer verheimlichte irgendwas.
Da ging die Tür auf, und Baldur kam hereingestürzt, gefolgt von dem Dolmetscher. Magnus konnte seine Verärgerung nicht verhehlen; gerade hatte er das Gefühl gehabt, voranzukommen.
Baldur hielt mehrere Blätter in der Hand. Er setzte sich an den Tisch und legte sie vor sich. Dann beugte er sich vor und betätigte einen Schalter auf einer kleinen Konsole vor dem Computer. »Befragung um achtzehn Uhr zweiundzwanzig wiederaufgenommen«, sagte er. Er sah Jubb in die Augen und fragte auf Englisch: »Wer ist Isildur?«
Jubb verkrampfte sich. Sowohl Baldur als auch Magnus bemerkten es. Dann versuchte der Engländer, sich zu entspannen. »Keine Ahnung. Ja, wer ist Isildur denn?«
Magnus stellte sich dieselbe Frage, auch wenn ihm der Name irgendwie bekannt vorkam.
»Sieh dir die hier mal an!«, sagte Baldur, nun wieder auf Isländisch. Er schob Jubb drei Blätter zu und reichte auch Magnus drei. »Das sind ausgedruckte E-Mails von Agnars Computer. E-Mail-Korrespondenz mit dir.«
Jubb nahm die Blätter auf und überflog sie, Magnus ebenfalls. Es handelte sich um schlichte Bestätigungen des Besuchs, den der Engländer am Telefon vorgeschlagen hatte; Datum, Uhrzeit und Treffpunkt wurden vereinbart. Der Ton war geschäftsmäßiger, als wenn man sich mit einem Bekannten zu einer formlosen Verabredung traf.
Die dritte E-Mail war am interessantesten.
Absender: Agnar Haraldsson
Empfänger: Steve Jubb
Betreff : Treffen 23. April
Lieber Steve,
ich freue mich darauf, Dich am Donnerstag zu sehen. Ich habe etwas gefunden, was Du bestimmt sehr spannend finden wirst. Es ist schade, dass Isildur nicht auch kommen kann. Ich will ihm etwas vorschlagen, was man am besten persönlich besprechen kann. Ist es zu spät, um ihn zu überreden, doch mitzukommen? Liebe Grüße
Agnar
»Und? Wer ist Isildur?«, fragte Baldur erneut, jetzt auf Isländisch. Der Dolmetscher übersetzte.
Jubb seufzte schwer, warf die Blätter auf den Tisch und verschränkte die Arme. Er schwieg.
»Was war das für ein Vorschlag, den Agnar mit Isildur besprechen wollte? Hat er mit dir
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