Magnus Jonson 01 - Fluch
eine raue Oberfläche hatte. In der Wunde sind Splitter davon zu sehen. Ich habe keine Ahnung, woher der Stein stammte, möglicherweise vom Fußweg, da liegen ein paar ziemlich große. Das kann uns das Labor verraten. Aber ich würde sagen, dass der Mörder ihn anschließend in den See geworfen hat. Sonst wäre er sehr dumm – das ist der perfekte Ort, um einen Stein loszuwerden.«
»Hast du eine rechtsmedizinische Ausbildung?«, fragte Baldur argwöhnisch.
»Nur ein bisschen was mitbekommen«, erwiderte Magnus. »Ich habe halt schon ein paar Tote mit Kopfwunden gesehen. Darf ich reingehen?«
Baldur nickte. Über den Fußweg kehrten sie zum Ferienhaus zu rück. Das Gebäude wurde gerade dem Komplettprogramm der Spurensicherung unterzogen: starke Leuchten, Staubsauger und mindestens fünf Techniker, die mit Pinzetten und Fingerabdruckpulver herumhantierten.
Magnus sah sich um. Die Eingangstür führte direkt in einen großzügigen Wohnbereich mit einem Panoramafenster, das auf den See hinausging. Wände und Boden waren aus Weichholz, die Einrichtung war modern, aber nicht teuer. Viele Bücherregale: Romane auf Englisch und Isländisch, Geschichtsbücher, einschlägigeLiteraturkritik. Eine eindrucksvolle CD-Sammlung: Klassik, Jazz und isländische Musiker, von denen Magnus noch nie gehört hatte. Kein Fernseher. Ein mit Papier überhäufter Schreibtisch stand in einer Ecke des Raumes, in der Mitte waren Sessel und ein Sofa um einen niedrigen Tisch gruppiert, auf dem ein halbvolles Glas Rotwein und ein Glas mit einem Rest Cola standen. Beide waren mit einem dünnen Film verschmierten Fingerabdruckpulvers bedeckt. Durch eine geöffnete Tür sah Magnus in die Küche. Drei weitere Türen hatte das Wohnzimmer, sie führten wohl zu Schlafzimmern und Badezimmer.
»Wir glauben, dass er hier drüben den Schlag mit dem Stein bekommen hat«, sagte Baldur und wies auf den Schreibtisch. Der Holzboden davor war frisch geschrubbt, einige Zentimeter weiter waren Kreideringe um winzige Flecke gezogen.
»Können wir eine DNA-Analyse von den Flecken machen lassen?«
»Falls es der Mörder war, der das Blut verloren hat?«, fragte Baldur.
Magnus nickte.
»Können wir. Wir schicken die DNA an ein Labor in Norwegen. Es dauert aber eine Weile, bis die Ergebnisse zurück sind.«
»Kommt mir bekannt vor«, sagte Magnus. Das DNA-Labor in Boston war chronisch im Rückstand; alles war eilig, daher wurde alles gleich langsam behandelt. Magnus hoffte, dass das norwegische Labor die einsame Anfrage seines Nachbarn mit etwas mehr Respekt behandeln würde.
»Wir gehen davon aus, dass Agnar hier auf den Hinterkopf geschlagen wurde, als er sich dem Schreibtisch zuwandte. Dann wurde er aus dem Haus gezogen und in den See geworfen.«
»Klingt einleuchtend«, bemerkte Magnus.
»Bloß dass ...« Baldur zögerte. Magnus fragte sich, ob der Inspektor sich vor seinem Chef nicht die Blöße geben wollte, Zweifel zu äußern.
»Bloß was?«
Baldur warf Magnus einen kurzen Blick zu, immer noch zaudernd. »Komm mal und sieh dir das an!« Er führte Magnus in die Küche. Sie war sauber und aufgeräumt, lediglich eine offene Flasche Wein und die Zutaten eines Schinken-Käse-Sandwiches standen auf der Theke.
»Wir haben hier auch ein paar Blutspritzer gefunden«, erklärte Baldur und wies auf die Arbeitsfläche. »Hatte Agnar sich vielleicht vorher geschnitten? Oder taumelte er verletzt hier herein? Allerdings finden sich ansonsten keinerlei Anzeichen für einen Kampf. Oder ging der Mörder in die Küche, um sich zu säubern? Doch wenn das der Fall wäre, würde man deutlich größere Spritzer erwarten. Ich kann es mir nicht erklären.«
Magnus sah sich im Raum um. Drei Fliegen prallten immer wieder gegen die Fensterscheibe – ein vergeblicher Ausbruchsversuch. »Keine Sorge deswegen«, sagte er. »Das waren Fliegen.« »Fliegen?«
»Sicher. Sie landen auf der Leiche, nehmen so viel Blut wie möglich auf und fliegen in die Küche, weil es dort warm ist. Dort haben sie das Blut wieder ausgestoßen – so können sie es besser verdauen. Vielleicht wollten sie sich ein kleines Sandwich zum Nachtisch gönnen.« Magnus beugte sich vor, um den Teller näher zu betrachten. »Ja. Da ist auch was zu sehen. Man kann die Blutspritzer besser mit einer Lupe oder mit Luminol erkennen, falls ihr das habt. Das bedeutet natürlich, dass die Leiche lange genug hier lag, um den Fliegen diesen Festschmaus zu ermöglichen. Aber da reichen schon fünfzehn, zwanzig
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