Magyria 01 - Das Herz des Schattens
Flusshüter schlug und trat nach ihm. »Rühr mich nicht an! Weg, weg mit dir!«
Mattim sprang zurück, er hatte Angst, dass sein Freund
ihm das Gesicht zerkratzte und ihm untilgbare Wunden zufügte. Um ihn daran zu hindern, hätte er sich einfach auf ihn stürzen und ihn beißen sollen. Dann wäre Kunun zufrieden gewesen, vielleicht sogar so zufrieden, dass Mattim darauf hoffen konnte, mehr über die Pforte zwischen beiden Welten zu erfahren. Nur ein Biss. Nur ein einziges Opfer, und es würde ihn so viel weiter bringen! Vielleicht konnte es, wenn er es endlich tat, sogar helfen, Akink zu retten!
Stattdessen hockte er da und starrte in Derins angsterfüllte Augen. Der junge Mann war rückwärts von ihm fortgerutscht, bis ein Baumstamm seine Flucht beendete. Mit bloßer, ausgestreckter Hand versuchte er, Mattim von sich fernzuhalten. »Weiche! Weiche, Schatten!«
Genauso hatte er sich gefühlt, damals im Käfig. Atschorek hatte kein Mitleid mit ihm gehabt. Aber er konnte Derin nichts tun. Nicht einmal, um Kununs Vertrauen zu erringen.
»Grüß meine Eltern«, sagte er leise. »Und Mirita. Sag ihr, sie soll nicht vergessen, was wir besprochen haben, und sobald ich mehr weiß, werde ich …«
Derin schrie, er schrie so laut wie jemand, der seinen unvermeidlichen Tod auf sich zukommen sieht. Goran war aus dem Gebüsch herausgestürzt und hatte sich über ihn geworfen. Mattim konnte nichts tun, um ihm zu helfen, es ging alles viel zu schnell; völlig überrascht musste er mit ansehen, wie Goran ihre Zähne in Derins Hals schlug.
»Nein!«, schluchzte er auf. »Goran, nein, Derin! Derin!« Er streckte die Hände nach beiden aus - um Goran wegzuziehen, um Derin aufzuhelfen -, doch es war zu spät. In Mattims Armen fand die Verwandlung statt. Es war wie eine Geburt, während sie zu dritt, in inniger, verzweifelter Umarmung und getränkt von Blut, einem Wolf auf die Welt halfen, einem schlanken Wolf mit braunschwarzem Fell, der sie ansah wie ein Neugeborenes.
»Was hast du bloß getan!«, rief Mattim, dem die Tränen über die Wangen rannen.
Goran streichelte den neuen Wolf, und sie schienen auf eine Weise zusammenzugehören, die ihn ausschloss. Sie mit dem blutigen Kinn … und das Tier, jetzt ohne Angst, ohne Verzweiflung, nur etwas verwundert.
»Sie empfinden Glück«, erklärte Goran. »Merkst du das nicht? Schau mich nicht an, als hätte ich ihn umgebracht. Wir können Glück schenken, begreife das doch endlich!«
Er schüttelte dumpf den Kopf. »Derin hätte ein anderes Schicksal gewählt.«
»Man kann nichts wählen, von dem man nicht weiß, wie es ist. Findest du, er wirkt unglücklich?« Sie tätschelte den Kopf mit der langen Schnauze, und ihre Fingerspitzen glitten über das dichte Fell. »Du hättest es tun sollen«, sagte sie leise. »Statt ihn zu beauftragen, Grüße zu überbringen. Also wirklich, Mattim!« Sie wischte sich das Blut vom Mund.
»Wirst du es Kunun sagen?« Er sah sie an und versuchte, die Goran in ihr zu finden, die zu ihm gehalten hätte - weil er der Prinz war oder aus Freundschaft, das hätte er nicht zu sagen vermocht. Wenn es sein Rang gewesen war, dann hatte er verloren.
Da hörten sie schon Kununs Stimme. Laut und froh, und das Lachen eines Mannes, dem das Jagdglück hold ist. Mit forschen Schritten - und dennoch leiser als ein wildes Tier - kam er zu ihnen und blickte auf Derin, der sich winselnd vor ihm duckte.
»Dein erster Wolf?«, fragte er, und Vergnügen erklang dabei in seiner Stimme. »Du wirst noch Geschmack daran finden, Mattim.« Er richtete seine schwarzen Augen auf den Jungen. Sein Lächeln wirkte so frei und beschwingt, als hätten sie nichts anderes getan, als aus armseligen sterblichen Kreaturen wundervolle Geschöpfe zu erschaffen, wild und voller Lebenslust und ohne Furcht. Als wären sie hier, um wie mit göttlicher Hand Leben zu schaffen, Freiheit zu
schenken und an einer wunderbaren Welt mitzuwirken, in der sie alle Freunde sein würden.
Mattim zwang sich, nicht zu Goran hinüberzublicken, nicht das Flehen und die Angst nach außen zu tragen, die er empfand. Er hielt Kununs strahlenden Blick aus und spürte den Verlust des Lichts, mit dem er geboren war, wie eine qualvoll pochende Wunde, dort, wo sein Herz nicht mehr schlug. Mit diesem Licht hätte er jeden Schatten in die Knie zwingen müssen - doch er konnte nichts tun. Er konnte nur Kununs bohrendem Blick standhalten und nicken.
Goran schwieg, aber Mattim empfand nicht einmal Dankbarkeit. Nur als
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