Magyria 01 - Das Herz des Schattens
Mattim mit seinen dunklen Augen an, Augen wie der Nachthimmel, schwarz und lodernd.
Was wirst du tun, Schattenjunge?
» Wart’s nur ab, mein Lieber«, murmelte der Prinz.
Die Nacht war jung. Die Flusshüter waren noch nicht lange unterwegs. Er hatte Zeit genug, um ihnen ohne Eile zu folgen, um abzuwarten, eine günstige Gelegenheit zu erkennen und dann erst zu handeln. Denk nicht an Hanna. Allein in Kununs Haus. Ein Becher voll Blut …
Er sah Bela an. Der Wolf war hier, voll und ganz, kämpfte noch nicht in Schlachten, die in weiter Ferne lagen. Hier war er mit seiner ganzen Gegenwart.
Mattim atmete tief ein. Wolf, ja. Der vertraute Geruch des Rudels. Wald und Schnee. Magyria. Sei hier. Denk nicht an Hanna, an Budapest, an ein anderes Leben. Sei hier.
Mattim folgte weiter den Flusshütern. Stunde um Stunde blieb er hinter ihnen, ein Schatten, lautlos lauernd. Dann das Gelächter bekannter Stimmen. Der kühle Wind trug die Scherze zu ihm herüber, die gelöste Stimmung, die Wachsamkeit, die Kameradschaft, das gemeinschaftliche Schweigen. Von allem etwas. Er wartete im Dunkeln, und ihm war, als wäre es möglich, so zu leben, immer nur ein paar
Meter von ihnen entfernt, Nutznießer ihrer Freundschaft und ihres Einsatzes für Akink, als könnte der Lichtschein ihrer Fackeln und Lampen ihn mit dem Licht nähren, das er vermisste.
Irgendwann rastete die Truppe. Sie setzten sich auf ein paar umgestürzte Baumstämme, von denen sie den Schnee heruntergewischt hatten, und der junge Mann, der neu war bei den Flusshütern, teilte etwas aus. Mattims feine Nase verriet ihm, dass es sich um Früchtebrot handelte, süß und würzig, aber seine Augen betrachteten das Schwert am Gürtel des Wächters, lang und scharf. Mirita warf hin und wieder einen Blick über die Schulter in den dunklen Wald. Nicht alle hatten sich zum Essen hingesetzt; zwei oder drei blieben stehen, unaufhörlich wachsam, bereit zu schreien.
Soll ich sie für dich holen?, bot Bela an seiner Seite lachend an. Du musst es nur sagen.
Wenn es doch bloß so einfach gewesen wäre! Aber Mirita von einem Schattenwolf aus der Mitte ihrer Kameraden herauszureißen, kam seiner Vorstellung von Heimlichkeit nicht wirklich nahe. In seiner Brust und seiner Kehle lauerte der Ruf des Wolfs, trotzdem öffnete er den Mund und ließ den Turul frei.
Bela warf ihm einen verwunderten Blick zu. Was du alles kannst, Bruderherz.
Die Wächter zuckten zusammen. Unruhig wanderten die Posten auf und ab.
»Das klingt wie die Ankündigung von Unheil«, sagte einer. »Wie das Zeichen zum Angriff.«
»Ach, Unsinn«, widersprach Mirita. Sie war aufgestanden und rieb sich die klammen Hände. »Ein Turul, sonst nichts. Vielleicht lässt er sich füttern.« Sie trat von den anderen fort, die Hand mit dem letzten Stück Brot vorgestreckt.
»Mirita! Bist du verrückt! Nicht alleine, Mirita!«, brüllte der junge Mann und wollte ihr nach.
Der Anführer packte ihn am Ärmel und hielt ihn fest. »Lass sie«, zischte er.
Mattim zeigte sich der Bogenschützin, kurz nachdem sie den Lichtkreis verlassen hatte, als sie mit unsicherer werdenden Schritten zwischen den Bäumen hindurch irrte.
»Alles in Ordnung«, rief sie nach hinten. »Hier sitzt er, auf dem Baum.« Dann hastete sie auf Mattim zu, umschlang ihn mit beiden Armen und flüsterte dicht an seinem Ohr: »Du bist da. Ich wusste es. Ich wusste, dass du kommst.« Ihr Mund suchte seinen. Nur mit Mühe machte er sich frei.
»Nicht jetzt. Nicht, Mirita. Es ist wichtig.«
»Dein Vater war sehr wütend«, sagte sie leise und berührte sein Gesicht, mit den Fingern fuhr sie ihm durchs Haar. Ihm war, als hörte er den Wolf irgendwo hinter sich im Gebüsch lachen. Alles blieb still, und dennoch wusste er, dass Bela die Szene unglaublich komisch fand. »Er wollte nichts hören, ich durfte nicht einmal deinen Namen aussprechen. Deine Mutter dagegen hat mir zugehört. Sie hat durchgesetzt, dass die Brückenwache und die Männer an der Mauer Verstärkung bekommen haben. Wir sind gerüstet. Wann werden sie kommen? Wir sind bereit, sofern das überhaupt geht.«
Er löste ihre Hände von seinem Kopf. Was das nur immer sollte! Es ärgerte ihn, aber er hatte das deutliche Gefühl, dass ihre Stimmung sehr schnell umschlagen könnte, wenn er sie allzu schroff abwies. »Ich weiß nur, dass wir sehr wenig Zeit haben. Du musst zur Königin gehen und sie dazu bringen, mich zu treffen. Noch besteht Hoffnung, ein klein wenig … wenn sie auf mich
Weitere Kostenlose Bücher