Magyria 01 - Das Herz des Schattens
Rette mich nicht!, wollte sie rufen. Nein, rette mich nicht!
Die Vampire wichen vor ihm zurück und sahen sich an, ratlos. Der Angreifer beschrieb mit dem brennenden Stock einen großen Bogen um sich.
»Mattim! Hör auf! Prinz Mattim!«
Der Junge trieb sie mit den Fackeln vor sich her. »Raus hier!«, befahl er. »Macht, dass ihr hier rauskommt!«
»Das ist ein Fehler, du solltest nur mit Kunun reden …« Einer der Vampire versuchte, hinter ihn zu gelangen, aber Mattim war zu schnell. Er schwang herum, und die Flamme streifte das Haar des Mannes, das sofort zu brennen begann. Der Getroffene schrie auf, taumelte durch den Hof und presste den Kopf auf das gefrorene Wasser des Brunnens.
»Noch jemand?«, fragte der Prinz kühl. »Raus hier, habe ich gesagt.«
Die Männer sahen sich an und nickten und verschwanden.
Die Frau zog beim Gehen ein Handy hervor.
»Warte!«, schrie Mattim und sprang mit der Fackel vor, als wäre sie ein Schwert. »Wähl die Nummer und gib es mir. Und bleib hier stehen.« Er drängte die Vampirin mit
der Flamme an die Wand. Sie presste die Wange gegen den Stein, während sie die Tasten drückte. Der Junge riss ihr das Telefon aus den Händen.
»Mattim.« Als hätte Kunun keinen Moment daran gezweifelt, dass sein Bruder ihn anrufen würde. »Du bist also da.«
»Ja, ich bin da«, sagte Mattim. »Sicher wird es dich nicht überraschen, zu erfahren, dass ich alles andere als erfreut bin, mein Mädchen hier angebunden vorzufinden. Was hast du dir bloß dabei gedacht?«
»Bist du etwa nicht losgestürmt wie ein wild gewordener Tiger, um sie zu befreien? Du hörst dir tatsächlich erst an, was ich zu sagen habe?«
»Natürlich«, sagte Mattim. »Du bist der Anführer. Also, was hast du dir dabei gedacht?«
Kunun lachte leise. »Gib mir einen der Schatten.«
Mattim hielt der Vampirin das Handy an die Lippen, sein Gesicht so nah an ihrem, als wollte er sie küssen. Sie machte eine Bewegung, aber die Fackel loderte vor ihrem Gesicht, und die Flamme erfasste beinahe ihr Haar.
»Die Kleine ist immer noch gefesselt?«, erkundigte Kunun sich.
»Ja«, knurrte die Frau.
»Sieh an. Nicht schlecht. Wieder eine Prüfung bestanden. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich das freut. Dann darf er sie jetzt losbinden.«
Die Bedrängte öffnete den Mund, um noch etwas hinzuzufügen, aber Mattim zog das Handy rasch zurück und schaltete es ab.
»Eine Prüfung also«, sagte er.
»Bei der du jämmerlich versagt hast!«, rief die Schattenfrau, stieß ihn vor die Brust und rannte zum Ausgang.
Mattim machte sich nicht die Mühe, ihr zu folgen. Er eilte zu Hanna, legte die Fackeln auf den Boden, löste den Knebel, strich mit den Fingern leicht über die Wange der
Gefangenen und machte sich daran, das Seil um den Steinlöwen aufzuknoten.
»Réka.« Sie krächzte, ihre Zunge wollte ihr nicht gehorchen. »Réka. Wir müssen … Réka.«
»Zuerst müssen wir fort von hier. Sie werden Kunun Bescheid geben, so viel ist klar. Ich werde dich in Sicherheit bringen, bevor ich mich mit ihm auseinandersetze.«
»Nein. Réka …«
Er half ihr hoch. Einen Moment drückte er sie mit dem freien Arm fest an sich und sah ihr dabei in die Augen. Wieder war er da, dieser dunkle Blick, als wäre ein Schatten über den grauen Himmel gefallen und als wären die Steine im Gebirge sich des Gewichts bewusst, das auf ihnen lastete, ein Gewicht, das sie bis in die Tiefen der Erde hinunterdrückte.
»Ich hab’s vermasselt, in Magyria«, flüsterte der Prinz, und in diesem einen dahingeworfenen Satz entdeckte Hanna das ganze Ausmaß seiner Verzweiflung. »Aber du lebst.«
»Mattim, er wird sich Réka holen. Sie sind noch nicht lange weg, höchstens eine halbe Stunde. Wir müssen es verhindern!«
»Réka?«, fragte Mattim. Er führte sie schon zum Ausgang, leuchtete mit der Fackel in die Ecken und legte dann vorsichtig die Hand auf den Türknauf. »Sie werden uns nicht einfach so entkommen lassen. Das sind Kununs Leute, sie wissen, was er tun wird, wenn sie versagen … Komm, wir gehen lieber hier entlang.«
Im Tageslicht waren alle Schatten diffus und verschwommen, doch er hielt die Fackel einfach vor sich hin und warf sich rücklings durch die Wand ins nächste Haus. Hanna japste vor Schreck auf, als sie sich in einem fremden Flur wiederfanden.
Mattim legte die Fackeln zur Seite und umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht. »Was ist mit Réka?«, fragte er sehr ernst.
»Es ist der zweite Teil der Prophezeiung.
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