Magyria 01 - Das Herz des Schattens
Brückenwache!« Mattim war entsetzt, obwohl er geglaubt hatte, darauf vorbereitet zu sein.
»Das ist ein sehr verantwortungsvoller Posten.«
»Vater! Die Brückenwache steht nur auf der Brücke herum!«
»Das ist extrem wichtig. Falls ein Angriff erfolgt, müssen sie ihn am Fuß der Brücke abwehren.«
»Ich weiß, warum die Wache wichtig ist.« Mattim atmete tief durch. Er musste seinen Ärger hinunterschlucken und vernünftig argumentieren, sonst würde der König so tun, als stünde die Entscheidung bereits fest. »Trotzdem möchte ich nicht dazugehören, Vater, wirklich nicht. Wenn ich stundenlang auf einem Fleck stehen müsste, würde ich verrückt.«
»Eine gute Übung in Sachen Geduld. Findest du nicht? Es ist keine Kleinigkeit, nur herumzustehen, glaub mir. Trotzdem darf die Wachsamkeit niemals nachlassen. Vor allem die Wachen am Brückenende haben eine verantwortungsvolle Aufgabe.«
Farank blickte ihn gütig an, er hoffte auf ein Einsehen. Mattim fand es einfach nur unerträglich, viel lieber hätte er sich lauthals gestritten.
»Du willst mich aber in die Mitte stellen, habe ich Recht?«
Der König lächelte. »Mattim, bei der Brückenwache kommt jeder mal ans Ende. Wenn sie ihre Runde aufnehmen …«
»Eine Runde, bei der man jede halbe Stunde ein paar Meter weitergeht. Wunderbar! Das ist genau das, was ich mir gewünscht habe!«
»Es muss getan werden«, sagte Farank kühl, und Mattim verwünschte sich, weil er sich wieder hatte hinreißen lassen, seine Gefühle zu zeigen. Uneinsichtigkeit machte seinen
Vater nur noch sturer, das wusste er eigentlich. Allenfalls besonders kluge Gründe konnten jetzt noch helfen.
»Im Wald bin ich viel nützlicher, da kann ich …«
»Schluss jetzt!«, bestimmte der König. »Du gehst heute auf die Brücke. Hast du verstanden?«
Der junge Prinz rang die Worte nieder, die in seiner Kehle darum stritten, als Erstes hinauszudürfen. Er nickte.
»Dann geh und tu deinen Dienst.«
In ihm brodelte es, als er hinunter zur Brücke eilte. Die Nachtpatrouille sammelte sich gerade im Hof. Morrit wusste es schon und nickte ihm aufmunternd zu. Vergebens suchte Mattim nach Miritas schlanker Gestalt; dann fiel ihm ein, dass sie wegen ihrer Verletzung noch freigestellt war.
Die Brückenwächter standen in einer endlosen Reihe zu beiden Seiten des Geländers, alle vier Schritte ein Mann oder eine Frau. Hundert zur Rechten und Hundert zur Linken. Die Ablösung hatte gerade stattgefunden, ihm hatten die anderen einen Platz auf der rechten Seite freigelassen. Stumm und unbeweglich standen die Soldaten da, als die Nachtpatrouille hindurchmarschierte, und Mattim bemühte sich, ebenso reglos und kühl zu verharren. Seine ehemaligen Kollegen waren weniger strenge Vorschriften gewohnt; sie taten nicht, als würden sie ihn nicht bemerken, sondern lächelten ihm im Vorbeigehen zu, mitleidig - das war am schlimmsten - oder kameradschaftlich. Goran, deren wilde Locken sich immer aus dem strengen Zopf schlichen, rief ihm ein schnelles »Viel Spaß« zu. Sie war einige Jahre älter als Mirita, eine grazile Bogenschützin mit makellosen weißen Zähnen, die sie oft zeigte, da sie gerne ununterbrochen redete. Derin, der Mattims heimliche Wache bei den Höhlen gedeckt hatte, grinste einmal kurz und verschwörerisch. Dann waren sie auch schon vorbei, und unter der fallenden Dämmerung stand die Brückenwache reglos da und wartete. Die Tagpatrouille kam herein, ohne ihn überhaupt wahrzunehmen.
Da setzten sich die Wächter auf einmal in Bewegung; jeder ging ein paar Schritte und nahm den Platz seines Vordermannes ein, sodass Mattim nun auf der anderen Seite jemand anders gegenüberstand, eine ältere Frau mit einem strengen Blick. Im Schein der Lampen begannen die Fratzen in den Brückenpfeilern ein Eigenleben zu führen, und der Prinz vertrieb sich die Zeit damit, Löwenköpfe und Drachenleiber zu zählen.
Wieder einige wenige Schritte weiter, ein anderes Gegenüber, eine leicht veränderte Perspektive. Die Stadt strahlte durch die Nacht, die Burg leuchtete durch unzählige Fenster. Jenseits des Flusses versank der Wald in der Dunkelheit. Nebel stieg vom Wasser auf. Hoch oben erschien der Mond, und bald darauf setzte das Heulen der Wölfe ein.
Es hörte sich anders an, hier auf der Brücke, als wenn man im Wald war. Dort hatte er sich nie gefürchtet, hier rann ihm ein Schauer über den Rücken. Hier konnte er nicht kämpfen und nicht fliehen, nicht helfen und nicht eingreifen, mit
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