Magyria 01 - Das Herz des Schattens
entgegen ihrer Ankündigung so lange dabliebe, bis sie zurück waren. Anscheinend ging es ihr wirklich nur um das Geld.
Mit einem bitteren Gefühl in der Magengrube streifte Hanna die unbequemen Stiefel ab und entdeckte dabei Rékas Schuhe zwischen den anderen. War es nicht das Paar, das das Mädchen heute Abend getragen hatte? Hoffnung wallte in ihr auf. Sie eilte in Rékas Zimmer und knipste das Licht an, aber das Bett war leer.
Auch im Badezimmer war niemand. Hanna starrte sich selbst im Spiegel an; eine Fremde mit schwarz umrandeten Augen und roten Lippen. Als sie losgezogen waren, hatte sie sich noch hübsch gefunden - bevor sie Atschorek gesehen hatte, neben der jede andere Frau verblasste. Hanna beugte sich über das Waschbecken und wusch sich das Gesicht. Ihr war immer noch komisch zumute, doch mittlerweile glaubte sie nicht mehr, dass die Fremde ihr etwas ins Glas getan hatte. Schließlich konnte sie sich an jedes Wort erinnern, vielleicht sogar zu gut. Danke, aber ich habe heute schon getrunken. Wie blöd war das eigentlich? Wie konnte man so überirdisch schön sein und dann
solche Sprüche von sich geben? Es sei denn, sie meinte etwas anderes …
Hanna stützte sich mit beiden Händen am Waschbecken ab. Sie vertrug einfach zu wenig. Nicht nur deswegen fühlte sie sich elend. Nicht Réka war verrückt, sondern sie. Was war das an ihrem Hals da - ein Kratzer? Oder vielleicht ein Vampirbiss? So etwas auch nur in Erwägung zu ziehen … Wie kam sie dazu? Bloß weil eine alte, offensichtlich minderbemittelte Putzfrau und ihre nicht weniger durchgedrehte Enkelin abergläubisch waren?
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. An Schlaf war nicht zu denken. Sie zog ihr Nachthemd an und tappte ins Wohnzimmer. Und dort, längs auf dem Sofa ausgestreckt, lag Réka und schnarchte leise.
Hanna setzte sich ihr gegenüber. Sie seufzte unentschlossen. Sollte sie das schlafende Mädchen wecken und ins Bett schicken? Ihr Vorhaltungen machen? Sie an ihr Versprechen erinnern, dass nun der Arztbesuch anstand?
»Hallo, Hanna.« Réka gähnte und setzte sich auf. »Ich wollte auf dich warten, aber ich bin eingeschlafen.«
»Warum hast du nicht angerufen, um mir Bescheid zu geben, dass du schon zu Hause bist?« Sie hätte noch einen überzeugenden Bericht anfügen können, wie es war, sich solche Sorgen zu machen, doch sie ließ es lieber dabei bewenden.
Réka starrte sie einen Moment an, dann lächelte sie. »Ich bin gesund«, sagte sie. »Ich war mit ihm aus und erinnere mich an jeden Augenblick. Wir sind bloß spazieren gegangen, draußen. Es gibt überhaupt nichts, worüber du dich aufregen müsstest. Er hat nur meine Hand gehalten. Kunun hat mich nicht einmal geküsst. Anscheinend sind wir längst nicht so weit, wie ich dachte.«
»Ihr habt nur geredet?«, fragte Hanna ungläubig.
»Wir sind an die Donau gegangen und haben uns die Lichter angesehen. Es war …« Réka verdrehte die Augen. »Ich
kann nicht sagen, wie oft ich das schon gemacht habe, aber diesmal war es anders. Wie verzaubert. Als würde ich das erste Mal am Ufer stehen und die Brücke sehen und die vielen Lichter. Kunun hat mir den Arm um die Schulter gelegt. Es war … Kannst du das verstehen, Hanna? Ich wollte, dass es niemals aufhört. Dass wir immer so dort stehen bleiben, wie eine Statue aus zwei Figuren. Nur er und ich. Ich glaube, jetzt erst habe ich begriffen, wie sehr er mich liebt. Er würde mir nie wehtun. Und ich ihm auch nicht. Wir gehören zusammen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr.«
Hanna nickte nachdenklich. »Wenn das alles so harmlos war, warum hat diese Frau sich dann solche Mühe gegeben, damit ich euch nicht folge?«
»Welche Frau?«, fragte Réka alarmiert. »Ich dachte, du bist uns nachgelaufen? Hast du denn kein Foto gemacht? Ich habe ihn extra gebeten, den Regenschirm etwas höher zu halten. Als wir da so lange standen - ich war mir sicher, du würdest uns dabei fotografieren!«
»Es tut mir leid, dass du enttäuscht bist«, sagte Hanna steif. Sie verstand auf einmal gar nichts mehr. Morgen würde sie vielleicht begreifen, was in dieser Nacht geschehen war.
Kunun war also harmlos? Dafür hatte sie nichts als Rékas Bericht.
Einige Tage schien das Leben fast wieder normal zu sein. Die Kinder gingen zur Schule, Attila war kaum zu bändigen, Réka erholte sich etwas und wirkte nicht mehr ganz so blass und krank. Über Kunun sprachen sie nicht. Hanna fragte nicht, und Réka erzählte nichts, aber irgendwann fand
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