Magyria 01 - Das Herz des Schattens
ernst.«
»Bin ich das? Ich dachte, ich bin lustig verrückt.«
»Ach ja. Das auch. Und was davon bist du heute?«
Es war nicht die ungewohnte Verkleidung und auch nicht die Tatsache, dass sie gegen den ausdrücklichen Willen von Rékas Eltern handelten, die sich darauf verließen, dass sie dieses Wochenende zu dritt zu Hause verbrachten. Es war vielmehr die Angst, dass es schiefgehen könnte. Dass es schiefgehen musste. Dass Réka verschwinden würde, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Und dass die Réka, die Hanna wiederbekam, blass, verstört, schwindelig und todunglücklich sein würde.
»Im Zoo war ich auch dabei«, erinnerte sie leise.
»Da hast du weggeschaut. Heute darfst du halt nicht wegschauen.«
»Versprochen.«
Das Déryné gefiel Hanna tatsächlich. Eigentlich mochte sie alles, die vielen kleinen Tische, die rund um die den Raum beherrschende Theke angeordnet waren, das Klaviergeklimper, das die Atmosphäre bestimmte, bis hin zu den Schachbrettfliesen, die dem Ganzen einen edlen Touch verliehen. Vielleicht hätte ihr jedoch auch alles gefallen, was sie aus dem schmutzig-kalten Dezemberwetter rettete.
Réka blickte sich suchend um. »Er ist nicht da«, flüsterte sie enttäuscht.
»Lass uns erst einmal etwas trinken«, schlug Hanna vor. Im Grunde, so sagte sie sich, verzichtete sie gerne auf Kununs Anwesenheit. Dass sie ein wenig enttäuscht war, lag mit Sicherheit nicht daran, dass sie sich heute besonders hübsch fühlte. Wie sollte sie sonst jemals herausbekommen, was für ein finsteres Spiel er mit ihrem Schützling trieb?
Hanna stellte sich an die Theke. Sie wollte keinen Alkohol trinken, um ja nicht in ihrer Wachsamkeit beeinträchtigt zu werden, und bestellte daher für sie beide dasselbe: frischen Saft.
»Ich habe Hunger«, sagte Réka. »Wollen wir nicht lieber was essen?«
Hanna merkte, dass auch sie Appetit bekam, wenn sie sah, was die Leute an den Tischen Leckeres verspeisten. Direkt vor ihr löffelte ein junges Pärchen eine gelbe Suppe aus gebogenen weißen Tellern. Es schien ihnen wirklich zu schmecken, und falls der verführerische Duft von diesem Tisch ausging, sprach alles dafür, dasselbe zu bestellen.
Eine Bewegung neben ihr ließ Hanna jeglichen Hunger vergessen. Eine junge Frau hatte sich neben sie an die Theke gestellt. Ihr rotes Haar war zu einem sorgsam abgestuften Pagenkopf frisiert, der ihre Kopfform zur Geltung brachte. Sie hatte ein auffallend schönes, makelloses Gesicht, und als sie Hanna zulächelte, fühlte diese sich geradezu geehrt.
»Sziastok, ihr zwei. Gefällt es Ihnen hier?«, fragte sie mit einer solchen Herzlichkeit, als würden sie sich schon seit Jahren kennen.
»Es ist - fantastisch«, gab Hanna zurück.
»Ich meine nicht nur das hier«, sagte die Frau. »Mögen Sie Budapest?«
»Woher wissen Sie, dass ich nicht von hier bin? Sieht man das?«
Etwas in dieser Frage ließ alle ihre Alarmglocken schrillen.
»Ich muss aufs Klo«, unterbrach Réka.
»Ich auch, so ein Zufall«, sagte Hanna schnell. Sie folgte dem Mädchen, an einer gemütlichen Bibliothek vorbei bis in den Keller. »Ich lass dich heute nicht allein, glaub mir.«
»Er wird schon nicht aufs Mädchenklo kommen.« Réka lachte, als sie in der kleinen Kabine verschwand.
Hanna vertrieb sich die Zeit damit, im Spiegel ihr verändertes Gesicht zu betrachten und Grimassen zu schneiden.
»Réka?«
Die Toilettentür stand auf. Leer. Wie war Réka nur unbemerkt an ihr vorbeigekommen? Hanna hastete die Treppe wieder hoch.
»Wo ist sie?« Gerade wollte die Bedienung ihr die Saftgläser reichen, aber Hanna machte unwillkürlich ein paar Schritte rückwärts. »Wo ist sie hin?«
»Ihre Freundin?«, fragte die schöne Rothaarige. Sie lehnte immer noch an der Theke und rührte lässig mit einem langen Strohhalm in ihrem Glas herum. »Hier ist sie nicht vorbeigekommen.«
Hanna stürzte zurück in Richtung Waschräume. In der gemütlichen Sofaecke war jeder Platz belegt, nur die Gesuchte war nicht dabei. Sie eilte die Stufen hinunter zu den Toiletten.
»Réka?«
Eine Zelle war besetzt, doch es war eine Fremde, die einige Minuten später zum Vorschein kam und Hanna, der die Panik ins Gesicht geschrieben stand, einen verwunderten Blick zuwarf.
Im Nebenraum war eine Feier zugange, und auch dort war nichts von dem Mädchen zu entdecken. Hanna eilte die Stufen wieder hinauf. Warum hatte sie bloß Rékas Handy genommen? Nun hatte sie keine Möglichkeit, ihren Schützling anzurufen. Zu
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