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Magyria 02 - Die Seele des Schattens

Titel: Magyria 02 - Die Seele des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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zog.
    »Bald kommen die ersten Besucher«, meinte er schüchtern. »Ich kann nicht einfach alle wegschicken. Was soll ich denn machen?«
    Doch niemand hörte ihm zu.
    »Mattim, wo ist Kunun? Wo – ist – Kunun?«, verlangte Atschorek zu wissen.
    »Kunun?« Mattim drehte sich um. »Er war direkt hinter uns.«
    Von ihrem Anführer war nichts zu sehen.
    »Mattim!«, rief seine Schwester entsetzt. »Was ist passiert?«
    Atschorek wartete nicht auf die Antwort, sondern eilte voraus. Während sie durchs Dunkel stolperte, hörte sie nicht auf zu rufen. »Kunun?« Ihre Stimme hallte tausendfach durch das Labyrinth. »Kunun!«
    Als sie zurückkam, war sie still. Mit beiden Händen stützte sie sich gegen die Mauer. Einen Moment stand sie da, wackelig, als müsste sie auf einer hohen Mauer balancieren und wüsste noch nicht, auf welcher Seite sie herunterspringen sollte.
    Dann fuhr sie Mattim an: »Du hast ihn dort gelassen? Das kann nicht dein Ernst sein. Oh, du verdammter Verräter!« Zornig riss sie den letzten Pfeil aus seiner Schulter und schleuderte ihn auf die Erde. »Hast du die Gelegenheit gleich genutzt, ihn loszuwerden? Freust du dich, na? Soll ich dir Musik spielen, damit du tanzen und singen kannst?«
    »Siehst du mich etwa lachen?« Mattim hätte nicht sagen können, was er fühlte. Die schwebende Leichtigkeit, die er eben noch empfunden hatte, als er Hanna die Stufen hinauf nach oben geführt hatte, war verschwunden. Dem neuen Gefühl konnte er keinen Namen geben. Merkwürdig war nur, dass er jetzt alles viel intensiver wahrnahm. Den dumpfen Geruch der unterirdischen Gänge, Hannas leicht verschwitzte Hand in seiner, das Scheuern der zerrissenen Kleidung auf seiner Haut. Es war, als wäre jede Kleinigkeit, jedes Detail wichtiger als je zuvor. Jetzt, da Kunun verloren war.
    Atschorek schien zu erraten, was er dachte. »Kunun ist nicht tot«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Das lasse ich nicht zu. Ich gebe ihn nicht auf, bevor ich nicht Gewissheit habe. Wer kommt mit? Wir gehen nach drüben.«
    »Tu es nicht«, sagte Mattim, obwohl ihm für einen kurzen, intensiven Moment der Ruf »Ich bin dabei!« auf der Zunge lag. »Geh nicht durch diese Pforte. Sie werden dich mit Feuer und Waffengewalt empfangen. Meinst du, ich werde lachen, wenn auch du nicht mehr zurückkommst?«
    Über ihnen verwandelte das Licht den Himmel in eine glühende Preisung des neuen Morgens.
    »Sie haben Kunun erwischt?« Hanna fühlte das Glück immer stärker in sich hochsprudeln, Glück wie ein Springbrunnen, wie Seifenblasen, die in die Höhe stiegen. Kunun fort, für immer – es war, als würde eine zentnerschwere Last von ihr abfallen. Irgendeine Erinnerung meldete sich zurück, vorsichtig, als wäre sie nicht sicher, willkommen zu sein.
    Ein Blick aus schwarzen Augen. Ohne Angst, ohne Eile. Gewissheit. Das war das Merkwürdige daran, dieses Wissen um das, was geschehen würde …
    Vorsichtig fragte sie: »Trauerst du um ihn? Ist das für dich eine gute oder eine schlechte Nachricht?«
    »Er hat sich für uns geopfert.« Mattim drückte Hanna fest an sich. »Genau so möchte ich ihn in Erinnerung behalten. Als jemanden, in dem noch ein Funke Licht wohnte, der nicht ganz verloren war.«
    Die gesamte Fahrt über lehnte sie ihren Kopf gegen Mattims Schulter. Sie wollte nur so dasitzen und bei ihm sein, und als das Taxi hielt, öffnete Hanna träge die Augen und gähnte.
    »Geh, meine Liebe.«
    »Kommst du nicht mit?«
    »Ich brauche etwas anderes zum Anziehen. Und du auch. Wir erwecken beide den Eindruck, als hätten wir uns in Asche gewälzt. Ich fahre weiter zu Atschoreks Haus und versuche, wieder ein bisschen mehr wie ein Mensch auszusehen. Heute Nachmittag komme ich zu dir, ja?« Er küsste sie sanft.
    Ihr kam es so vor, als würde er sie wie eine Todkranke behandeln, die gerade erst genesen war. Genauso fühlte sie sich auch, noch etwas schwach, aber so, als hätte sie heute Geburtstag.
    Kunun war tot. Sobald sie versuchte, daran zu denken, sah sie sein Gesicht vor sich, bevor er sie gebissen hatte. Ja, das wusste sie wieder. Wie er sich zu ihr gebeugt hatte, seine Lippen an ihrer Haut …
    Dunkel. Ein Blick voller Gewissheit.
    Er hat sich für uns geopfert , hatte Mattim gesagt.
    Bilder kamen zurück. Eine wilde Flucht durch unterirdische Räume und schwarzen Rauch. Durch den Qualm spürte sie die Augen auf sich, die sie in die Knie zwingen wollten. Sie fletschte die Zähne zu einem triumphierenden Lächeln.

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