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Magyria 02 - Die Seele des Schattens

Titel: Magyria 02 - Die Seele des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Zuschnappen. Die Stadtwächter waren nicht zu sehen, nicht zu hören. Selbst ein Flüstern schien in den abwartenden Gassen weit zu tragen, zu weit. Hanna rang nach Luft. Wieder begann sie zu husten, sie konnte nichts dagegen machen. Ihre Lungen brannten, die Beine gaben unter ihr nach. Schwer stützte sie sich auf Mattim, ihr Körper krümmte sich.
    »Wir sind fast da«, flüsterte Kunun. »Wenn sie nicht still ist, musst du sie zurücklassen.«
    »Nein«, protestierte Mattim, »lieber …«
    Kunun beugte sich blitzschnell vor. Kurz sah er ihr in die Augen, und sie erschrak über seinen dunklen, zornigen Blick, dann packte er sie und biss sie in den Hals. Der Schmerz war schnell vorbei, doch die Dunkelheit nahm zu. Und sie dachte nur noch: Dies ist Kununs Nacht, und nun bringt er sie über mich, über uns alle …
    Kunun trank, obwohl Mattim versuchte, Hanna von ihm wegzureißen, obwohl er zischte: »Es ist genug. Hör auf! Hör endlich auf!«
    Schließlich erschlaffte sie in seinen Armen, und der Schattenprinz nahm das verträumt dreinblickende Mädchen hoch wie ein schlafendes Kind. Mattim hastete ihm durch die Dunkelheit nach. Sie schritten durch eine Hauswand, schlichen durch ein paar unbeleuchtete Stuben und traten auf der anderen Seite in eine weitere stille Gasse hinaus.
    »Dort ist es«, flüsterte Kunun, »jenes Haus in der Mitte, gegenüber der Laterne.«
    Sie eilten darauf zu.
    »Schatten!« Wie ein Schlachtruf ertönte es von allen Seiten: »Schatten! Schatten!«
    Von links kam die Stadtwache mit Schilden und Bogen. Eine Wolke aus Pfeilen schwirrte durch die Luft, und nun hörten sie auch von rechts die gedämpften Schritte schwerbewaffneter Krieger.
    »Schatten! Da sind sie!«
    »Lauf!« Kunun rannte, Hanna eng an seinen Körper gepresst, Mattim blieb dicht neben ihm. Von beiden Seiten näherten sich die Wachen, die vordersten liefen mit erhobenen Lanzen auf sie zu.
    Die Brüder rannten durch den Pfeilhagel, mitten durch den Schmerz. Da war das Haus, im matten Licht der kleinen Laterne. Ihr eigener Schatten an der Wand war kaum sichtbar, nichts als ein kleiner grauer Schemen. Die Tür war verschlossen. Mattim trat vergebens mit dem Fuß dagegen, während von beiden Seiten die Wachen näher rückten.
    Kunun schob Hanna zu Mattim hinüber. »Ich hole die Lampe.« Er rannte quer über die Straße, durch den Pfeilhagel, auf den er nicht mehr achtete als auf einen lästigen Schwarm stechender Wespen, riss die Laterne von ihrem schmiedeeisernen Haken und eilte zurück. Schon waren die Wächter bis auf wenige Meter zu ihnen vorgedrungen, einer hob den Arm mit der langen, eisenbestückten Lanze …
    Kunun griff nicht zum Schwert. Er wandte Mattim den Rücken zu und hob die Laterne vor sich, sodass sein eigener Schatten auf die Wand fiel. »Geh!«, schrie er. »Geh!«
    Mattim tauchte mit Hanna durch die Tür in das rettende Haus.
    Nie war ein Morgen so schön gewesen. Die kühle, klare Luft wirkte wie eine erfrischende Dusche. Die Altstadthäuser lagen still da, noch im Schlaf, während sich am Himmel das erste Morgenrot abzeichnete. Auch in Budapest schien es zu brennen, ein goldenes Glühen, das über die Dächer tastete.
    Mattim legte den Arm um Hannas Schulter.
    »Wir sind wieder da«, sagte er staunend. Die Schramme dicht unter seinem Haaransatz hatte bereits aufgehört zu bluten, aber ein schmaler roter Streifen lief ihm über die Stirn. Mehrere Pfeile ragten ihm aus den Armen und dem Rücken. Zum Glück war im Moment niemand hier, der sich darüber hätte wundern können.
    »Was ist passiert?«, fragte Hanna. Sie wollte nicht aufhören einzuatmen, die Frische des frühen Morgens, die Stadt, die Welt, das Leben. »Wir sind entkommen – wie?«
    Sie erinnerte sich daran, wie er sie im Arm gehalten und getröstet hatte, wie er bei ihr gewesen war in der schrecklichen Kerkerzelle. Er war zu ihr gekommen, und jetzt waren sie hier. »Was ist geschehen?«
    Er hielt sie fest, antwortete jedoch nicht, und sie spürte seine Lippen in ihrem Haar. Er atmete tief durch.
    »Später«, flüsterte er. »Ich erkläre es dir. Lass mir nur ein wenig Zeit.«
    Von irgendwoher tauchte Atschorek auf, neben ihr ein Fremder in der Kleidung eines Akinkers sowie ein verstört dreinblickender junger Mann mit einem Kugelschreiber in der Hemdtasche. An seinen Mundwinkeln klebte noch das Blut seiner vermutlich allerersten Mahlzeit als Schatten. Seine Augen wanderten immer wieder zu den Pfeilen, die Atschorek aus Mattims Haut

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