Magyria 02 - Die Seele des Schattens
gellten, während kreischende Dienstmädchen aus ihren Zimmern stürzten und von streng dreinblickenden Wächtern wie eine Herde zusammengetrieben wurden, irgendwohin, wo es vielleicht sicher war, vielleicht aber auch nicht.
»Ich kann dir nicht versprechen, dass wir diese Nacht überstehen werden.«
»Auch das weiß ich«, flüsterte sie leise.
Er umfasste sie schützend mit beiden Armen, und sie lehnte die Wange an seine Schulter.
EINUNDZWANZIG
Akink, Magyria
Wenn sie die Augen schloss, wenn sie an nichts dachte, war nur Mattim da. Hanna konnte die Wärme seines Körpers an ihrer Seite fühlen. Sie stellte sich vor, wie sie oben auf dem Burgberg standen und auf die leuchtende Stadt hinuntersahen. Budapest, nicht Akink. Eine Welt, in der sie einfach nur sie selbst war und kein Feind, eine Welt, in der sie nicht den Wolf auf die Menschen losgelassen hatte.
Sie dachte nicht an den bevorstehenden Morgen. Sie schwelgte nur in dem Gefühl, dass Mattim bei ihr war. Seine Gegenwart machte alles andere unwichtig. Er hatte sie kein zweites Mal gebissen, dennoch reichte die Benommenheit immer noch aus, um die Angst zu überdecken, die nun irgendwo in einem Winkel ihrer Seele weiterglomm, als gehörte sie nicht zu ihr. Jemandem in diesem Raum war klar, dass schreckliche Dinge bevorstanden, doch das musste jemand anders sein. Sie selbst kuschelte sich schläfrig an ihren Liebsten und wusste nichts davon.
Von irgendwoher kamen Töne, die den Fels vibrieren ließen. Langgezogene, klagende Töne … Sie merkte, dass Mattim sich straffte, dass er sie noch etwas fester an sich presste.
»Ist es so weit?«, fragte sie leise. Hier unten im Gestein vergingen die Stunden anders, und vielleicht hatte dort oben bereits der Tag begonnen mit düsterem Zwielicht. Ist es so weit? Jenem Teil von ihr, der sich fürchtete, war klar, was das bedeutete. Es war eine Fremde, die das wusste.
Die Wachen wurden unruhig, aus dem Gang ertönten Rufe.
»Jetzt?«, rief jemand. »Seid ihr sicher? Jetzt und hier?«
Mattim stellte sich vor Hanna. »Sie müssen an mir vorbei, um an dich heranzukommen.«
Sie starrte über seine Schulter auf die Akinker, die so unvermittelt von Wächtern zu Henkern geworden waren. Ihr Herz begann heftig zu schlagen. Auf einmal wusste sie wieder, wer sich fürchtete und warum. Sie würde sterben. Jetzt und hier, in dieser finsteren Zelle.
Die Wächter traten näher ans Gitter heran.
»Jetzt und hier«, sagte eine Frau. »So lautet der Befehl. Wo ist das Öl?«
Wie gebannt sah Hanna zu, wie die Wächterin einen großen Krug durch die Gitterstäbe hindurch ins Stroh leerte.
»Feuer.« Die Akinkerin streckte fordernd die Hand aus, und ein anderer griff nach einer brennenden Fackel und hob sie aus der Wandhalterung.
»Nein!«, schrie Mattim. »Das lasse ich nicht zu! Ihr dürft nicht …« Er brach ab, denn plötzlich trat aus der gegenüberliegenden Wand eine dunkle Gestalt. Hanna keuchte vor Erleichterung, als die Fackel im nächsten Moment auf den Steinboden polterte. Schon huschte ein Wachposten als Wolf davon.
»Na los, kleiner Bruder, worauf wartest du?«
Auf dem Gang brach das Chaos aus. Die Wächter stürmten mit ihren Lanzen vorwärts, doch Kunun verschwand seitwärts durch die Wand und tauchte hinter ihnen wieder auf. Er hatte zwei von ihnen gebissen, bevor sie begriffen, was geschah.
Die anderen zogen ihre Schwerter. Stahl prallte auf Stahl. Kunun lachte wild. »Wie habt ihr es denn lieber? Zähne oder Eisen? Na, womit soll ich euch beißen?«
Als eine Wächterin mit einer Fackel auf das Gitter zukam und der Schatten der Kämpfenden bis in die Zelle fiel, glitt Mattim durch die Stäbe und sprang der Frau in den Arm. Sie versuchte ihn mit dem Feuer von sich fernzuhalten, aber Mattim warf sich über sie, bevor sie in die Nähe des Strohs kam. Es wurde dunkler, als er die Flamme unter sich begrub. Hanna stockte der Atem, als ein neuer Wolf winselnd davonsprang. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rappelte Mattim sich auf. »Pass auf!«, rief sie. »Hinter dir!«
Es waren immer noch genug Feinde übrig, um gegen die zwei Schatten zu kämpfen. Doch im Gang unter der niedrigen Decke war zu wenig Raum für so viele Streiter, und die Schwertkämpfer behinderten sich gegenseitig.
Die beiden Prinzen schufen Platz, in dem sie in alles bissen, was ihnen nur irgendwie nahe kam, und nach wenigen Augenblicken standen sie – mit Schnitt- und Brandwunden übersät – inmitten eines Haufens aus Kleidern und Waffen
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