Magyria 02 - Die Seele des Schattens
dunkel wie ein Abgrund.
Ich bin schon tot.
Der Gedanke half nicht viel. Nie hätte er gedacht, dass es so viele Abstufungen des Sterbens gab, so viel Zerstörung in einem Körper, der dazu verdammt war, niemals zu verwelken.
Er konnte das Licht spüren, bevor er es sah, wie den Duft einer köstlichen Mahlzeit, einem Verhungernden serviert. Ein Glühen, das sich in dem kreiselnden Wirbel in seiner Mitte konzentrierte und alles verbrannte. Kunun stemmte den Hinterkopf gegen die Tür und öffnete die Augen.
»Wir haben ihn, Majestät. Was sollen wir mit ihm machen?«
»Ihr brennt mir nicht mein Haus ab«, jammerte die Frau am Fenster. »Nehmt ihn da weg, bitte. Nehmt ihn bitte da weg!«
Groß stand der König vor ihm, das Leuchten um sich her wie einen fest anhaftenden Fluch, mit dem er nun auf ihn herabfuhr.
Der Vampir fühlte, wie das Licht ihm Tränen in die Augen trieb, wie es in ihm brannte. Hundert Jahre Sehnsucht, hundert Jahre Verlorensein.
»Dein Glanz blendet mich, oh großer König des Lichts«, sagte er. Seine Stimme klang nicht so leicht, so spöttisch und kühl, wie er es beabsichtigt hatte, sondern ungewohnt harsch und brüchig, als litte er an Atemnot.
»Wo sind die anderen?«, fragte Farank.
»Sie sind da durch die Tür«, erklärte eine Soldatin. »Aber das heißt nicht, dass sie drinnen im Haus sind. Sie sind gegangen und verschwunden. Es war reines Glück, dass wir den hier erwischt haben.«
»Sucht weiter«, befahl der König. »Vielleicht sind sie noch irgendwo in der Nähe.«
Der Schattenprinz beobachtete ihn durch die Wimpern hindurch. Das Gesicht seines Vaters zeigte keine Regung des Wiedererkennens. Sein Blick wanderte über die festgenagelte Gestalt. Kunun kam es so vor – aber vielleicht täuschte er sich da auch –, als ob unter der Oberfläche von Faranks Gesicht ein Gefühl vorüberschwamm wie ein Geschöpf der Tiefsee, ein Wesen, das sich niemals nach oben verirren würde, wo irgendjemand es hätte sehen können.
»Was sollen wir mit ihm machen, Majestät?«, fragte der Wächter.
»Verbrennt ihn«, entschied der König. »Auf der Stelle. Warum warten, wenn bald ganz Akink in Rauch aufgehen wird? Zahllose Wölfe huschen bereits durch die Straßen. Warum ein Haus verschonen, wenn bald alle Häuser brennen werden?«
Die Frau im Fenster klagte lauthals, als die Wächter die Hände nach ihr ausstreckten, um ihr auf die Straße zu helfen.
»Zögert es nicht länger hinaus«, befahl der Monarch. Etwas leiser fügte er hinzu: »Es gibt einen Zustand, in dem möchte man nicht einmal seine Feinde wissen.«
Kunun versuchte zu lachen. Er spuckte das Blut aus, das sich in seinem Mund gesammelt hatte, das finstere, bittere Blut. Es würde keines nachkommen. Selbst aus der tiefsten Wunde rann immer nur ein wenig Blut.
»Wie schön ist es doch zu Hause«, sagte er. »Welch warmer Empfang. Wenn man bedenkt, wie lange ich nicht mehr hier war! Es ist, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich über die Brücke geritten und auf die Jagd gegangen bin.«
Farank musterte ihn und wandte sich ab. »Macht es einfach.«
»Nein! Wartet!« Die Königin rannte mit fliegendem Haar, mit wehendem Mantel. »Wartet! Wen haben sie? Mattim? Ist es Mattim?«
Ihr Mann fing sie auf, hielt sie fest, bevor sie näher herankommen konnte.
»Du sollst das nicht sehen.«
»Ist es Mattim?«, flehte sie.
»Wir gehen nach Hause, komm.«
»Mattim?« Sie hörte nicht auf das Drängen in seiner Stimme, riss sich von ihm los und lief bis vor das helle Haus mit der nun so auffällig verzierten Tür. Abrupt blieb sie stehen.
»Verzeiht, Hoheit, dass ich mich nicht vor Euch verneigen kann«, sagte Kunun.
Die Königin stieß einen Klagelaut aus, wie ein verwundetes Tier.
»Wie … Nein! Oh nein!«
Der König trat hinter sie. »Komm, Elira.«
»Er ist mein Junge«, sagte sie leise. »Mein Junge. Oh Farank, ich …«
»Du kannst ihn nicht retten«, sagte er. »Niemand kann das.«
Sie streckte die Hand aus, um Kununs Gesicht zu berühren.
»Nein!« Farank riss sie zurück. »Bist du verrückt? Du kannst doch nicht riskieren, dass er dich beißt! Komm weg hier, Elira.«
»Ich bin hinunter ins Verlies gerannt«, sagte sie. »Und ich war so glücklich, als ich hörte, dass Mattim geflohen ist. Du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich war.«
»Wie kannst du darüber froh sein? Es war nicht Mattim«, erinnerte sie der König. »Denk an einen tollwütigen Wolf. Auf die Stadt losgelassen, Schaum vor dem
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