Magyria 02 - Die Seele des Schattens
zerbrechliche Unsterblichkeit. Der Schattenprinz konnte fast wieder frei atmen, wenn er es versuchte. Mit dem Ärmel wischte er sich das Blut vom Kinn. Als die Wachen die gesamte Tür mit ihm darauf aus ihrer Verankerung hebelten und auf einen Karren luden, war er schon wieder munter genug, um einen Unvorsichtigen zu packen und ihn in einen Wolf zu verwandeln. Es machte die Demütigung, auf diese Weise verladen und durch die Stadt transportiert zu werden, ein ganz klein wenig leichter erträglich.
»Glaubst du an die Liebe?«, fragte Réka mit der Stimme einer Vierzigjährigen, die bereits zwei Scheidungen hinter sich gebracht hat und fünf Kinder ohne Hilfe großziehen muss. »Ich meine, die große Liebe. An die Liebe, die Schicksal ist. Die über einen kommt, und man kann sich nicht wehren. Man will es auch gar nicht. Weil man weiß, dass man den Richtigen gefunden hat. Weil es für immer ist. Für immer und ewig.«
»Ja«, antwortete Hanna.
Sie saßen im Wintergarten. Réka hatte noch eine Kanne Kaffee gekocht, die sie gemeinsam leerten. Sie hatte sogar aus dem Schrank irgendeinen ekelhaften Schnaps geholt, aber Hanna hatte ihr die Flasche sanft aus der Hand genommen und sie wieder zurückgestellt. Nun saßen sie hier und tranken Kaffee.
»Ich nicht«, behauptete Réka. »Ich glaube überhaupt nicht mehr an die Liebe.«
»Mattim und ich«, flüsterte Hanna.
»Ach, wirklich? Was macht dich so sicher? Als du mit deinem Maik zusammen warst, dachtest du das nicht auch? Und dann ist doch nichts daraus geworden. Weil«, erklärte Réka, erfüllt von abgebrühter Weisheit, »es nämlich nie etwas wird. Entweder hasst man sich, oder man wird sich irgendwann hassen und weiß es bloß noch nicht. Sogar meine Eltern hassen sich!«
»Nur weil sie sich vielleicht auch mal streiten …«
Réka fegte den Einwand mit einer Handbewegung hinweg. »Ich weiß, dass Mama ständig weint. Irgendwann lassen sie sich scheiden. Erzähl mir keine Märchen. Es gibt keinen Prinzen, der irgendwo auf einen wartet und den man finden muss. So ein Quatsch. Ich glaube, ich werde mich überhaupt nie mehr verlieben.«
»Kunun ist auch noch tatsächlich ein Prinz. Ein Prinz und ein König.«
»Ha!«
Sie saßen da und schwiegen und blickten in den Garten hinaus. Obwohl der Himmel leicht bewölkt war, kam es Hanna blendend hell vor. Kein Vergleich zu Akink, wo selbst der Tag unglaublich düster war.
»Mit deinem Mattim stimmt auch irgendetwas nicht«, sagte Réka mit finsterer Zufriedenheit. »Aber wenigstens saugt er dir nicht das Blut aus.« Als Hanna dazu schwieg, sah sie ihre Freundin von der Seite her scharf an. »Nein! Er auch? Mattim ist auch einer von denen? Sag mal, habe ich irgendetwas verpasst? Sind vielleicht alle Vampire, und ich bin die Einzige, die nichts davon weiß? Lachen sie über mich, weil ich … weil ich …« Ihre Hand begann zu zittern, sie stellte ihre Tasse ab.
»Nein«, sagte Hanna. »Niemand weiß das. Ich habe versucht, es dir zu sagen, die ganze Zeit schon.«
»Merkwürdig nur«, sagte Réka etwas schnippisch, »dass du ständig versucht hast, mich und Kunun auseinanderzubringen, und dann ist dein Freund auch einer von denen?«
»Mattim liebt mich. Das weiß ich.«
»Wie nett! Sein Essen zu lieben. Liebt er dich auf die Weise, wie ich Sachertorte und Nussbrezeln liebe?«
Hanna musste unwillkürlich lachen; nicht wegen dieser Worte, sondern weil Réka sie mit einer solchen zornigen, jammervollen Tragik aussprach, dass es ihr vorkam, als wäre sie in einem schlechten Theaterstück.
»Réka – Réka, nein, entschuldige. Tut mir echt leid.«
»Was ist daran so witzig?«, fragte Réka wütend.
Hanna hatte sich wieder in der Gewalt. »Es muss schlimm für dich gewesen sein, mit anzusehen, wie Atschorek erschossen wurde.«
Réka starrte an ihr vorbei aus der Fensterscheibe.
»Das war nicht das Schlimmste«, sagte sie leise.
Hanna war so wütend auf Kunun, dass sie ihn am liebsten umgebracht hätte, wenn er nicht schon tot gewesen wäre. »Er hätte niemals von dir verlangen dürfen, den Wolf ans andere Ufer zu bringen.«
»Ich konnte nicht in das Boot steigen«, flüsterte Réka, auf einmal mit Tränen in den Augen, und Hanna spürte sofort, dass sie jetzt an dem Punkt waren, über den das Mädchen die ganze Zeit sprechen wollte. »Ich konnte einfach nicht. Er hat mich so sehr darum gebeten, aber da war dieser riesige Wolf. Ich hatte entsetzliche Angst.«
»Das ist ganz normal. Nichts, weswegen du dir
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