Magyria 02 - Die Seele des Schattens
Gedanken, aus ihrem Herzen, das heute nur für Attila schlagen durfte.
Die Stadt würde fallen, und es musste ihr egal sein. Nur so konnte Hanna ihren kleinen Schützling gesund und ohne die geringste Bissspur nach Hause bringen.
»Was soll ich tun?«, fragte sie, während die Strömung sie weitertrug, in Richtung Akink, dorthin, wo das Leuchten in der Dämmerung ihr den Standort der Stadt verriet. »Soll ich weiterrudern? Und du sagst mir, wo wir anlegen können?«
Jeder Tropfen, der vom Ruderholz ins Wasser fiel, schien ihr wie ein Peitschenschlag in der Stille. Ja, es war ungewöhnlich ruhig, und das war ihr vorher nicht so stark aufgefallen. Kein Vogelgesang. Keine Menschen. Kein Straßenlärm. Magyria war still wie die Nacht, wie die Stunde der Dämmerung, bevor die Vögel mit ihrem Gesang den Morgen begrüßten, wie dieser kurze Augenblick, in dem die Welt den Atem anhielt und sich ihrer Einsamkeit bewusst wurde. Nur ein Mädchen und ein schweigsamer Wolf, die gemeinsam ihre Reise fortsetzten.
Er gab ihr kein Zeichen, obwohl sie darauf wartete und allmählich unruhig wurde. Das Leuchten in der Ferne nahm zu, als ginge dort hinter einer Bergkette aus schwarzen Schatten die Sonne auf. »Hier?«
Sie versuchte, das Boot näher ans rechte Ufer zu lenken, doch sofort stieg ein leises Grollen aus Wilders Kehle.
»Gut. Also hier nicht.«
Sie wagte nicht, gegen seinen Rat zu handeln. Sie war sich sehr wohl darüber im Klaren, dass sie diesem undurchschaubaren Prinzen in Tiergestalt ausgeliefert war.
So wie du Mattim ausgeliefert warst … und seiner Liebe.
Wilder drehte den Kopf zu dem Leuchten am Himmel hin. Wie eine Großstadt, in der unzählige Laternen und Lichter brannten … Eine Stadt der Lichter, von allen Seiten bewacht gegen das feindselige Dunkel.
Mattim. Ihre Sehnsucht nach ihm nahm zu, je näher sie der Stadt kamen, die er liebte. Aber sie war hier, um ihm das Messer ins Herz zu stoßen. Um Akink zu vernichten und damit Mattims Liebe auszulöschen. Nein, das war undenkbar, das konnte sie sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht ausmalen. Wie er sie hassen würde …
Die Umrisse der Stadt zeichneten sich klar ab. Die Silhouette der Burg und ihrer Türme ragten hoch auf, als wüchsen sie ins Licht, und das Umland wirkte umso dunkler.
»Akink«, flüsterte sie.
Und sah den Wolf an, dessen Fell im Schein so rot wirkte, als ob es brannte. Seine Augen glänzten, und in diesem Moment begriff sie, dass er mindestens ebenso starke Gefühle für die Stadt hegte wie seine Geschwister.
Er duckte sich so flach auf den Boden des kleinen Bootes, dass er unsichtbar wurde. Selbst hier, vor der Stadt, war das Licht nicht hell genug, um Dinge oder Wesen zu zeigen, die sich verbargen. Die Stadt wurde immer größer, während sie näher kamen. Es war nicht Budapest, dennoch lag etwas vage Vertrautes in dem Anblick der Burg auf dem Hügel. Das Flussufer war hier nicht mehr gras- und schilfbewachsen, sondern befestigt. Sie sah keine Wachen, trotzdem war es kaum vorstellbar, dass sie einfach so anlegen konnte, ohne bemerkt zu werden. Aber umzukehren war unmöglich. Auch wenn drüben Gefahr lauerte – wie hätte sie Kunun und Atschorek gegenübertreten sollen? Ihnen sagen, dass sie zwar bereit gewesen war, die Aufgabe zu erfüllen, doch nun war etwas dazwischengekommen, und ihre Mission war ohne ihre Schuld gescheitert. Ob sie freundlicherweise Attila freilassen könnten, vielen Dank auch?
»Sollen wir hier anlegen? Hier? Gleich ist es zu spät, oder nicht?«
Wilder gab ein schwaches Geräusch von sich, wie ein zustimmendes Brummen, da erblickte sie schon die Einfahrt zum Hafen. Zumindest das gab es in dem Budapest, das sie kannte, nicht: einen kleinen Hafen direkt neben der Stadt. Sie bog ein, ruderte an der Mauer entlang und sah dann die Anlegestege. Im Dämmerlicht, an hölzernen Stegen festgemacht, schaukelten zahlreiche kleine Boote und größere Fischerkähne. Aber auch hier ragte die Kaimauer unüberwindbar meterhoch auf. Erst als sie näher kamen, erkannte Hanna die eingelassenen Trittsprossen in den senkrechten Wänden.
»Für mich ist das kein Problem, aber wie willst du da hinauf?«
Der Wolf rührte sich nicht. Hanna seufzte. »Dann brauchen wir jetzt als Erstes einen Platz für unser Boot.« Es gab nicht viele Lücken zwischen den anderen, und sie konnte nur hoffen, dass die Besitzer lange ausblieben.
»Du kannst diese Leitern nicht hochsteigen. Wie willst du in die Stadt? Es ist unmöglich für
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