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Magyria 02 - Die Seele des Schattens

Titel: Magyria 02 - Die Seele des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Wölfe. Was tun wir hier eigentlich, Wilder?«
    Vielleicht war das von Anfang an sein Plan gewesen: herzukommen. Direkt in die Stadt. Nicht irgendwo draußen, weit vor den Mauern, eine Pforte zu öffnen, sondern hier, mitten in Akink, und dem Herzen des Lichts eine tödliche Wunde zuzufügen.
    Erwartungsvoll starrte der Wolf sie an. Immer noch lag er ganz flach da, sein rötliches Fell verschmolz mit dem Holz. Selbst wenn jemand von oben ins Boot geschaut hätte, hätte er ihn wohl schwerlich erkennen können.
    Doch es nützte nichts, Wilder zu verstecken. Der Wolf musste diese Mauer hoch, irgendwie. Noch hatte Hanna keine Idee, wie sie ihn nach oben bringen sollte. Wollte er springen? Aus dem Stand heraus, in einem wackeligen Boot, das höchstwahrscheinlich dabei kentern würde? Oder von den Stegen aus? Vielleicht hatte er ja niemals vorgehabt, die Kaimauer zu überwinden, vielleicht hatte er von Anfang an nur geplant, möglichst nah heranzukommen. So nah, dass die Schatten von hier aus in die Stadt eindringen konnten.
    Ach nein. Innerlich schüttelte sie den Kopf. Ein Vampir in einem Boot auf dem Donua? An dieser Stelle durch eine Pforte herauszukommen nützte einem Wesen, das empfindlich auf das Wasser dieses Flusses reagierte, gar nichts.
    »Ich werde jetzt die Sprossen hochsteigen. Du bleibst im Boot und rührst dich nicht. Ich werde nach irgendetwas suchen, mit dem ich dich hier raushole. Versprochen. Ich finde einen Weg. Egal, wie lange es dauert, warte, bis ich zurückkomme.«
    Sie zog ihre Jacke aus und breitete sie über den Wolf. Er ließ es geschehen. Er vertraute ihr, aber in ihr war kein Jubel darüber. Als sie die steile kleine Leiter hochstieg, die nach Akink führte, dachte sie weder an Attila noch an Mattim. Sie dachte nur an den Wolf, der sich in dem kleinen Boot versteckte, und was aus ihm wurde, wenn jemand ihn entdeckte.
    Auf einmal war ihr bewusst, was sie getan hatte und worauf Wilder sich eingelassen hatte. Wenn sie ihn tatsächlich herauf in die Stadt brachte, würde er es höchstwahrscheinlich schaffen, eine oder auch mehrere Personen zu beißen. Aber er war weder unverwundbar noch unsterblich. Wie ein ganz normales Tier, das sich zu den Menschen verirrt hatte, würden sie ihn jagen, stellen und töten.
    All dem, was sie bereits Schlimmes tat und was sie Mattim antat, hatte sie eins noch hinzugefügt: dass sein Bruder höchstwahrscheinlich sterben würde, hier und heute.
    Die Stadt war alt. Es fühlte sich an, als wäre sie in der Vergangenheit gelandet, als Hanna zwischen den hohen Häusern in das Gewirr der Straßen eintrat. Wie in einer Altstadt kam sie sich vor, in der sämtliche Schaufenster, Souvenirläden, Autos und Touristen fehlten, eine Stadt aus verwitterten Steinen, in der nichts sich verändert hatte seit Hunderten von Jahren. Viele Menschen waren unterwegs, und wie in jeder großen Stadt fiel man auch in dieser nicht auf, wenn man ein wenig anders war. Hanna war für das schummerige Licht dankbar, denn ihre Kleidung war für diesen Ort alles andere als angemessen. Hier trugen die Leute lange Umhänge und wehende Röcke, und Hanna fürchtete schon, dass sie mit ihren Jeans derbe Anstoß erregen könnte. Dann kam sie an einer kleinen Gruppe Frauen vorbei, die eifrig diskutierte, und zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass alle weite Beinkleider trugen und darüber eine Tunika. Zudem arbeiteten sie offenbar als Handwerkerinnen, denn sie besprachen die Reparatur einer hohen Eingangstür und wer für die Schnitzereien zuständig sein sollte.
    Obwohl Hanna dieser Spaziergang wie eine Zeitreise vorkam, war dies nicht Buda zu einer anderen Zeit. Dies war kein Museum. Auch nicht das Mittelalter, musste sie sich in Erinnerung rufen. Nicht die Vergangenheit einer Stadt, die sie kannte. Dies war Akink, und wenn ihr manches vertraut vorkam, dann nicht, weil es dieselbe Stadt wie Budapest gewesen wäre. Es war eine Variante davon, in einer anderen Welt, eine andere Schicht der Wirklichkeit, durch die sie hindurchging. Unendlich viel Zeit hätte sie damit zubringen können, durch die Gassen zu schlendern, über das raue Kopfsteinpflaster, und die Leute zu beobachten, die die Dunkelheit ignorierten, so wie es vielleicht die Nordländer in ihrem ewigen Winter tun müssen. Überall hingen Laternen, doch dadurch wirkte die Tageszeit erst recht falsch. Es schien die Zeit zu sein, in der man auf einer der kleinen Bänke am Eingang oder in einem mit Statuen vollgestellten Innenhof ein Glas

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