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Magyria 02 - Die Seele des Schattens

Titel: Magyria 02 - Die Seele des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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von Orchidee in einem berauschenden Parfüm. Alle Träume schienen nah, als hätten sie hier auf sie gewartet.
    Dicht hinter ihr erklang Kununs unerbittliche Stimme: »Jetzt komm.«
    Dort war schon der breite Fluss, dessen Wellen glitzerten, als würde er von unten her beleuchtet oder als wären glühende Kohlen im Flussbett versenkt. Diesmal war Akink jedoch nicht zu sehen. Sie befanden sich offenbar ein gutes Stück flussaufwärts.
    »Kommt es dir zu dunkel vor?«, fragte Atschorek. »Lass dich nicht täuschen, wir haben hier die gleiche Tageszeit wie in Budapest. Hast du eine Uhr? Das ist gut. Wenn Wilder jemanden beißt, sollte es nicht um eine Zeit sein, wenn drüben noch die Sonne scheint. Falls es früher geschieht, müsst ihr euch verstecken und abwarten. Denn eins musst du dir merken, Hanna: Der neugeborene Schatten darf nicht durch die Pforte hindurchgehen, solange in Budapest Tag ist. Du musst ihn in die Gefahren seiner neuen Existenz einweihen. Es wäre doch zu schade, wenn er im selben Moment zu Staub zerfällt, in dem du mit ihm auf der anderen Seite ankommst. Kein schöner Anblick, das versichere ich dir.«
    Zuerst bemerkte Hanna das Boot. Ein kleines Ruderboot, was sie erstaunlicherweise beruhigte, denn sie hatte schon befürchtet, dass man von ihr verlangte, mit einem großen Segelschiff zu navigieren. Aber es war so klein, dass sogar sie sich zutraute, damit ans andere Ufer zu rudern, das nur unscharf zu erkennen war, irgendwo dahinten in der Dämmerung. Der Fluss, so breit wie die Donau, floss ruhig dahin, ohne von Eisschollen behindert zu werden. Auch hier war Frühling, allerdings ein zögerlicher, kühler und dunkler Frühling, wie ein blasser Abklatsch der Jahreszeit, die in Budapest die Natur verwandelte, wo die Bäume so sehr blühten, dass es manchmal im Herzen wehtat vor Schönheit.
    Dann tauchte Wilder aus der Dunkelheit auf, so, wie die Wölfe in ihre nächtlichen Träume glitten, lautlos und betörend. Er richtete seine runden Augen auf sie, und sie hielt einen Moment still und fühlte sich wie jemand, der geprüft wird. Sie widerstand dem Impuls, auf ihn zuzugehen und ihm dem Kopf zu tätscheln wie einem Hund. Stattdessen tat sie gar nichts. Sie wartete ab und fühlte ihn wie in einem Traum näher kommen, wie in jenem Albtraum, in dem sie vor Atschorek geflohen war und die Wölfe angeschrien hatte – wie verführerisch war es, sich vorzustellen, sie hätte das alles nur geträumt. Auch diesen Wolf, der ein Bruder war, Mattims Bruder. Groß und schlank und rot wie ein Fuchs. Er tat, als würde er sie nicht kennen.
    »Nun trödle nicht«, sagte Atschorek, während Kunun sie aus ein paar Metern Entfernung beobachtete; er machte keinerlei Anstalten, näher ans Ufer zu treten. »Denk an Attila.«
    »Wie könnte ich nicht an Attila denken.« Sie wandte Atschorek den Rücken zu, während sie nun doch die Hand ausstreckte und den Wolf berührte. Sein Fell war sehr lang und dicht und weicher als erwartet.
    »Komm, Wilder«, sagte sie zu ihm.
    Hanna schob das Boot ins Wasser, kletterte vorsichtig hinein und setzte sich sofort hin. Die richtige Entscheidung, denn der Wolf sprang ihr nach und brachte das kleine Gefährt so zum Schaukeln, dass sie sich mit beiden Händen festhalten musste. Dann legte er sich hin und starrte auf das gegenüberliegende Ufer, und sie ergriff die beiden Ruder und tauchte sie ins Wasser.
    Hinter ihnen lag die dunkle, bewaldete Seite, von der aus sie aufgebrochen waren, vor ihnen, eine winzige Spur lichter, das unbekannte Ufer. Hannas Hände zitterten, während sie sich der Stelle näherten, an der es geschehen sollte. Solange sie hier im Boot war, war sie sicher – eine Pforte auf dem Wasser nützte den Schatten überhaupt nichts. Doch sobald sie einen Fuß auf die andere Seite setzte …
    Sie weigerte sich, das zu akzeptieren. Dies konnte einfach nicht der Tag sein, an dem sie sterben musste, um ein unheimliches Schattenwesen zu werden.
    »Hör mir zu, Wilder.«
    Er richtete seine unergründlichen Tieraugen auf sie. Sie kam sich vollkommen verrückt vor, aber schon einmal hatte sie mit den Wölfen gesprochen. Auch wenn sie diesmal keine Chance hatte, sich zu retten, wollte sie doch, dass er wusste, was sie darüber dachte.
    Sie beugte sich vor zu ihm, flüsterte fast unhörbar, als hätte der Nebel Ohren. »Ich kann mir vorstellen, was Kunun mit dir besprochen hat. Ich soll das Opfer sein. Ist es nicht so? Ich soll diejenige sein, die die Pforte öffnet. Sobald wir

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