Magyria 02 - Die Seele des Schattens
als Schatten.
Das war der Preis dafür, dass er sein Leben zurückbekommen hatte.
Sie leuchteten in die schmale Gasse hinein.
Am Hauseingang, hinter dem er sich verbarg, sprang eine Ziegelreihe vor, um die schön geschnitzte Tür gebührend einzufassen. Eine Hand breit Schatten.
Das genügte. Sie bemerkten ihn nicht.
»Sollten wir nicht …?«, fragte jemand. Ein Wächter mit einer Lampe, der zögernd stehengeblieben war.
Wilder machte sich bereit. Selbst wenn sie nicht einen Mann allein hier hereinschickten, um nachzusehen, sondern mehrere, würde er den vordersten erwischen. Wenn man schnell genug war, war es gar nicht mal so schwer, an einem gezückten Schwert vorbeizukommen. Und er war schnell. Seine eigene Wendigkeit und Kraft waren ein ständiger Quell der Freude für ihn. Das war ein Teil der Macht, die er besaß, ein Teil dessen, was es bedeutete, ein Schattenwolf zu sein. Schneller und stärker zu sein, als irgendeiner dieser Idioten ahnte. Ein einziger Biss genügte. Nur einmal die Zähne in die Haut eines Menschen zu schlagen.
»Komm, weiter«, sagte ein anderer. In seiner Stimme schwang weniger Angst als vielmehr Zuversicht. Sie würden den Wolf schon fangen.
Wilder lächelte innerlich.
Einen wie diesen musste er erwischen. Einen, der nicht in Ohnmacht fiel und nicht in Panik davonrannte, einen, der besonnen genug war, um nach dem Biss dazubleiben und zu fragen: Verdammt, ich bin ein Schatten – was mache ich denn jetzt?
Aber es war kein Wächter, den er beißen wollte. Nicht, wenn er noch irgendwie die Gelegenheit hatte, sein oberstes Ziel zu erreichen.
Er schlüpfte aus der Gasse, spähte in die größere Straße hinein. Sie war menschenleer, alle waren in ihren Häusern verschwunden. Aber die Fenster waren hell erleuchtet. Sie versuchten sich mit Licht zu schützen, gegen einen Wolf? Was für ein Blödsinn. Die Akinker hätten sich einfach niemals darauf verlassen dürfen, dass sie hier sicher waren. Dass sie nie so werden würden wie diejenigen, gegen die sie kämpften.
So nah wie möglich an den Häusern entlang lief er weiter. Es war berauschend, nach so langer Zeit wieder hier zu sein. Er musste aufpassen, dass er sich nicht vergaß und einfach genießend und staunend herumstreunte. Vieles sah noch genauso aus wie damals, als er, ein junger Prinz mit hin und wieder ungebührlichem Betragen, mit seinen Freunden die Stadt unsicher gemacht hatte. In diesem Viertel waren sie oft gewesen. Wilder kannte es wie seine Westentasche, auch wenn er in früheren Tagen nicht bemerkt hatte, wie es hier roch. Nach dem Wein, der hinter jenen schmalen Türen ausgeschenkt wurde, in efeubewachsenen Innenhöfen, zwischen den steinernen Tieren. Nach Glück. Er konnte es immer noch wahrnehmen, das Glück jener Tage, das in den Mauern und Straßen schlummerte, als hätte er es damals verloren. Als hätte er irgendwann vergessen, es mit nach oben in die Burg zu nehmen, und nun lag es seit Jahrzehnten in den Ritzen wie eine weggerollte Münze …
Wilder blieb stehen. Er konnte die Patrouille in der Gasse links von ihm hören. Sie hatten mehr Leute ausgeschickt, als er gedacht hatte. Nein, es war gar nicht die Wache, es waren Bürger, alle mit unterschiedlichen Schuhen. Keine richtigen Waffen. Vermutlich hielten sie Stecken und Schaufeln in den Händen. Für eine so große Gruppe waren sie erstaunlich leise. Diese Menschen wussten sehr gut, worum es ging, und hielten die Jagd auf ihn nicht für ein kleines Abenteuer, mit dem man später angeben konnte. Wenn sie ihn fanden, würden sie ihn ohne zu zögern töten.
Er wich zurück, drehte sich um und lief. Die Richtung stimmte jetzt nicht mehr ganz, gegen seinen Willen wurde er von der Burg abgedrängt. Aber so schnell würde er nicht aufgeben, schließlich kannte er sich hier aus. Wenn er die nächste Abzweigung nahm, um die Ecke bog und dann durch die Gasse der Wäscherinnen huschte, war er wieder auf dem richtigen Weg.
Hinter sich hörte er die Leute näher kommen. Irgendwo klirrten Schwerter, demnach war die Stadtwache ebenfalls nicht weit. Die Hörner hatten mit Sicherheit auch die Tagwache zurück in die Stadt gerufen. Sie zogen den Kreis enger …
Doch noch war er nicht verloren. Er musste nur hier zwischen der Häuserreihe hindurch, dann konnte er gleich dort auf der breiten Hauptstraße direkt hoch zur Burg laufen. Wie er an den König herankommen sollte, wusste er noch nicht. Es war riskant, vielleicht sogar unmöglich, aber wenn es gelang, war die
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