Magyria 02 - Die Seele des Schattens
Hause! Sie würden niemandem etwas zu Leide tun, wenn ihr sie einfach nach Hause kommen lasst!«
Seine Schritte wurden langsamer, er zögerte, vielleicht, um nach Worten zu suchen.
»Lassen Sie sie nach Hause kommen!«, rief sie. »Verzeihen Sie ihnen, und sie werden Ihnen verzeihen … es muss keinen Krieg zwischen euch geben! Es sind Ihre Kinder!«
»Sie sind hier nicht mehr zu Hause«, sagte der König. »Und wenn sie herkämen, wenn es ihnen gelingen sollte, mich und meine Gefährtin in das zu verwandeln, was sie sind, wäre dies das Ende. Du hast ja keine Ahnung von dem, was du da vorschlägst. Sie würden das Licht auslöschen, das über Akink leuchtet. Ich kann diese … Wesen nicht in die Arme schließen und ihnen vergeben, selbst wenn ich wollte. Ich dachte, ich müsste es. Wenn ich es täte, würde das Licht heller strahlen als je zuvor. Ich dachte, ich hätte meinen Sohn wiedergefunden, der aus der Finsternis zu mir zurückkam. Eine bittere Lektion musste ich lernen. Was die Finsternis berührt hat, ist finster, egal, wie hell es zu leuchten scheint. Ist die Nacht das, wonach ihr euch alle sehnt? Endlose, sternenlose Finsternis?«
»Aber es muss doch nicht so kommen«, wandte sie ein. »Was ist, wenn nicht?«
»Es wird so sein«, meinte Farank. »Lass die Schatten in die Stadt, und du wirst sehen, was geschieht. Sie können mich nicht neben sich wohnen lassen. Das Licht verbrennt sie und bereitet ihnen Schmerzen. Das Licht zwingt sie in die Knie. Sollen sie neben mir leben, Wand an Wand, freundliche Nachbarn, die sich bei Tag in ihren Häusern verbergen? Sie können es nicht. Und du hast ihnen den Weg in diese Stadt gebahnt. Du hast die Seuche der Dunkelheit nach Akink gebracht. Wenn du wüsstest, Mädchen. Wenn du begreifen könntest, was das heißt, du würdest mich auf den Knien um Verzeihung anflehen, statt deine Hoffnung an die Schatten zu verschwenden.«
Sie hörte seine leiser werdenden Schritte auf dem Gang. Hanna lehnte sich gegen die kalte, raue Mauer und schloss die Augen.
ZWEITER TEIL
STADT DER LABYRINTHE
DREIZEHN
Akink, Magyria
Wilder duckte sich an die Hauswand. Die Straßen, durch die er gelaufen war, hatten sich in Windeseile geleert. Das Geschrei der Leute hallte ihm noch in den Ohren wider.
Ein Wolf! Ein Wolf!
Er sprang über sie alle hinweg, jagte unter einem Gerüst hindurch, setzte über Karren, riss händchenhaltende Pärchen auseinander. Niemanden hatte er beachtet, keinen absichtlich zu Boden gerissen, wenn auch viele hinter ihm gestürzt waren bei ihrer panischen Flucht. Er blickte sich nicht um. Noch verfolgte ihn niemand. Alle waren bestrebt, sich in Sicherheit zu bringen. Ein Schrei erfasste die ganze Stadt, ein einziger Ruf des Entsetzens. Immer noch gellten die Hörner.
Wilder presste sich eng an die Wand, in den Schatten. Hier brannten keine Lampen, nur von der Hauptstraße her drang schwaches Licht in die schmale Gasse und verlor sich dann, immer schwächer werdend, auf den Pflastersteinen.
Er witterte und rief sein Gedächtnis ab, um sich zu orientieren. Seit nahezu sechzig Jahren war er nicht mehr in Akink gewesen. Fünfzig Jahre als Vampir hatte er hinter sich, acht als Wolf. Aus dieser Perspektive war es fast eine neue Stadt, fremd, überwältigend durch ihre unzähligen Düfte, die sich in einem einzigartigen Muster miteinander verwoben. Dieses Muster hatte sich in der vergangenen Stunde verändert, sich in eine Wolke aus Angst verwandelt, durch die er nun tauchte. Er hätte die Augen schließen können und sich dennoch daran entlanghangeln und anhand der Angst erkennen, wo sich jemand versteckte, allein, und wo sich viele aufhielten, und anhand dessen sein Ziel aussuchen.
Beißen, beißen …
Diese Phase hatte er hinter sich. Irgendjemandem die Zähne in den Leib zu schlagen, nur weil er die Macht dazu besaß, das hatte ihm am Anfang ein grandioses Gefühl des Triumphs beschert.
Jetzt ging es um etwas ganz anderes. Nicht um einen einzelnen Menschen, den er ins Reich der Schatten zwingen konnte, sondern um die Stadt. Um Akink. Der Wald war sein, aber dies war immer noch ein Ort, an den er gehörte. Revier.
Ich, Prinz.
Der Wolf hob den Kopf, er witterte, er horchte.
Die festen Schritte auf dem Pflaster. Die schwitzende Wache. Der Ölgeruch ihrer Laternen. Das Klappern von Pfeilen im Köcher, das Schwingen von Metall in der Luft. Sie hielten ihre Schwerter in den Händen, bereit. Sie wussten, so wie er auch, dass Wölfe viel leichter zu töten waren
Weitere Kostenlose Bücher